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Ultraleicht Trekking

Durstige Kurztour durchs Val Grande


Gast

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Da an anderer Stelle schon die Rede davon war, möchte ich hier einen etwas ausführlicheren Bericht von meiner Tour durchs Val Grande posten. Das Val Grande liegt in den westitalienischen Alpen kurz hinter der Schweizer Grenze und ist ein Nationalpark, der nach dem Wilderness-Konzept geführt wird. Also keine bewirtschafteten Hütten, kein Funknetz, keine Infrastruktur, keine bewohnten Ortschaften (zumindest im Westteil) und kaum Wegpflege. Unterm Strich eine große Wildnis, die langsam zu wuchert.

Ich habe die Tour nur ungenügend dokumentiert, also keine Packliste etc. Ich hatte 6 Kilo Rucksackgewicht. Da kamen dann nochmal vier Kilo Essen und Wasser drauf, zu viel und zu wenig zugleich, wie sich später erweisen sollte.

Ich war im Juli 2015 da und bin von Premossello-Chiovenda im Süden im Dossola-Tal nach Malesco im Norden im Val Vigezzo einmal quer durchs Val Grande gelaufen. Diese zwei- bis dreitägige Querung ist in diesem ohnehin eher einsamen Naturpark sozusagen die Hauptroute, also zumindest phasenweise noch halbwegs gut ausgeschildert.

Startpunkt für die Übernachtung nach meiner Anreise war Domodossola, eine wirklich schöne und lebendige norditalienische Kleinstadt. Hier kann ich sehr das Albergo Biglia empfehlen. Zentral gelegen und echt nette Besitzer.

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Frühmorgens bin ich die 8 Minuten mit der Bahn nach Premosello gefahren, von wo der Aufstieg zur Alpe della Colma beginnt. Diese Schutzhütte liegt auf 1728 m Höhe auf einem Bergsattel, hinter dem das eigentliche Val Grande beginnt. Da Premosello im Dossola-Tal nur rund 250 Meter hoch liegt, habe ich mich auf einen Anstieg von rund 1500 Höhenmeter am ersten Tag eingestellt.

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Das schien mir machbar, obwohl es in diesem Juli mit 38 Grad im Schatten unglaublich trocken und heiß in den norditalienischen Alpen war. Gleich zu Beginn merkt man, dass das hier keine Wander-Autobahnen wie in den deutschen oder österreichischen Alpen sind. Alle (!) Wege beim Aufstieg sind - wenn überhaupt - mit Rot-Strich-Weiß-Strich ausgezeichnet, wohin sie auch führen mögen. So bin ich gleich ganz am Anfang einmal falsch abgebogen, weil vor mir Waldarbeiter mit kleinen Planierraupen gerade ein Chaos angerichtet hatten. Der Weg war eigentlich keiner. Aber da mich alle halbe Stunde Rot-Weiß an einem Stein oder Baum erfreute, war ich guter Dinge.

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Da der "Weg" bis 1200 Meter Höhe durch dichten Wald führt, habe ich meinen kleinen Fehler beim Abbiegen erst bemerkt, als ich an der Alpe ai Curt aus dem Wald heraus kam - genau einen Bergzug zu weit westlich. Ich hatte also die Wahl, 1000 Höhenmeter wieder abzusteigen und neu zu beginnen, oder weglos nach Osten in das vor mir liegende Tal abzusteigen und an der gegenüberliegenden Talseite wieder auf 1200 Meter aufzusteigen, bis ich auf den Weg zur Alpe della Colma stoßen würde, die auf folgendem Bild genau im Einschnitt des Bergsattels liegt.

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Der "wilde" Abstieg ging erstaunlich gut, obwohl es etwa eine Stunde lang keinerlei Weg, sondern nur atemberaubend abschüssige Wiesen gab, auf denen man wie beim Slalom nur seitlich laufen konnte und dann sozusagen mit einem Sprung in die Gegenrichtung umsetzen musste. Unten kam dann verwilderter Wald, dem ich aber trotz seiner Wildheit für den gespendeten Schatten sehr dankbar war.

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Durch meinen kleinen "Umweg" erhöhte sich die zu schaffende Tagesstrecke zur Alpe della Colma allerdings ungeplant auf ungefähr 2200 Höhenmeter, was ich dann in den letzten beiden Stunden doch sehr deutlich gemerkt habe. Zunächst lief es aber noch ganz prima: In zwei Stunden war ich durch das ungeplante Tal hindurch und bin gegenüber tatsächlich auf den richtigen Weg gestoßen. Von dort gab es ein paar schöne Ausblicke auf meinen Startpunkt Premosello.

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Schwierig wurden dann aber die letzten 400 Höhenmeter, als mir unter der sengenden Sonne langsam die Puste ausging. Obwohl ich das Wasser nur so in mich hinein schüttete, konnte ich den Schwitzverlust einfach nicht ausgleichen und habe gemerkt, dass ich langsam aber sicher etwas dehydrierte. Vor der Alpe della Colma abzubrechen und irgendwo mein kleines Tarptent aufzustellen war leider keine Option; Weit und breit kein Wasser. Aus Tims Blog, der ganz oft im Val Grande ist, wusste ich, dass es zumindest an der Alpe della Colma noch Wasser geben würde. Also habe ich mich weiter geschleppt. 50 Hohenmeter laufen, sich dann einfach am Wegesrand samt Rucksack fallen lassen und ein bisschen hecheln, dann wieder 50 Höhenmeter laufen. Dass ich nicht der einzige Dehydrierte im Val Grande war, habe ich gemerkt, als ich die Alpe della Colma schließlich am Abend erreichte.

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Wilde Schafe mit irrem Blick nuckelten bereits an der einzigen Quelle weit und breit, die nur noch lau tröpfelte. Aber beim Durst hört die Tierliebe auf und ich sicherte mir das kostbare Nass, was mir unter den Schafen sicher keine Freunde gemacht hat. Wenigstens war ich jetzt oben und konnte vom Grat aus tief ins Val Grande hinein blicken.

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Ich setze die Tourbeschreibung in einem zweiten Post fort.

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Die Nacht auf der Alpe della Colma, die nur eine unbewirtschaftete, aber wunderbar gelegene Schutzhütte ist, war etwas unruhig. Ich konnte immer nur trinken, trinken - und hab bis auf die Äpfel keinen Bissen meines mühsam mitgeschleppten Essens runtergebracht. Das ganze Essen habe ich dann in der Hütte auf einem Wandboard für den nächsten Wanderer zurück gelassen. Möge es ihn erfreut haben. Ich war jedenfalls um 1,5 Kilo leichter. Puh.

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Wahnsinnig gern hätte ich mich nach diesem schweißtreibenden Tag abgewaschen oder gar geduscht. Ich hatte das Gefühl, völlig salzverkrustet zu sein. Das Wasser tröpfelte jedoch nur noch so spärlich aus der Quelle, dass ich davon abgesehen habe. Und das war gut so. Am Morgen konnte ich gerade noch zwei Liter in meine Flaschen abfüllen. Dann versiegte der dünne Faden, der aus dem Quell-Schlauch tropfte. Also auch Alpe della Colma ohne Wasser. Mit 2 Litern bestens ausgerüstet begann ich den steilen Abstieg ins Val Grande.

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Das ist eine wilde, schöne, fast tropische Gegend. Überall zugewuchert. Aus dem Pflanzenteppich ragen bizarre Felsformationen heraus. Phasenweise hatte ich das Gefühl, durch eine urzeitliche Wildnis zu laufen.

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Den schönsten und intensivsten Moment an diesem zweiten Tag habe ich am Mittag im Val Gabbio erlebt (das Val Grande besteht eigentlich aus zwölf verschiedenen Einzeltälern). Der sonst tosende Gabbio war wegen der Dürre ganz zahm und hatte ruhige, kristallklare Fels-Pools gebildet.

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Das lockte doch unwiderstehlich zum Bad, auch wenn man den letzten Meter vom Fels aus springen musste. Kalt war's, und unglaublich erfrischend!

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Dann noch ein kurzer Abstecher zur Alpe Val Gabbio, die aber inzwischen wegen Einsturzgefahr nicht mehr betreten werden darf. Das Dach ist aus geschichteten Steinplatten und bestimmt tonnenschwer. Da bleibt man doch gern außen vor...

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So, das war der schöne Teil meines zweiten Tages. Nach der Überquerung des Flusses auf einer abenteuerlichen Hängebrücke ging es für mich nur noch bergauf.

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Ich wollte bis zum Abend noch bis zum Bivaco Scaredi, das auf dem Bergsattel auf 1800 Metern Höhe liegt, der das Val Grande im Norden begrenzt. Dieser Aufstieg vom Talgrund aus hat mich total geschafft, obwohl es nur rund 1000 Höhenmeter waren. Der letzte Winterorkan hatte in den Bergwäldern schlimm gewütet. Stundenlang bin ich über umgestürzte und bizarr verdrehte Bäume geklettert. Ein Weg war eigentlich nicht mehr erkennbar. Ich bin einfach nur noch intuitiv gelaufen, den Blick immer halb zum Boden gerichtet: Hier der Abdruck einer Stockspitze, dort ein Stein auf einem umgestürzten Baumstamm, hier sogar mal ein kleiner Fetzen Bonbonpapier - das sind die "Wegzeichen" im Val Grande. Zum meinem eigenen Erstaunen habe ich mich an diesem Nachmittag in diesem Sturmwald kein einziges Mal verlaufen. Ich weiß aber auch nicht mehr viele Einzelheiten und hab kein einziges Foto von diesem Aufstieg. Ich war wie in Trance, auf Autopilot, und das war vielleicht gut so, weil ich tatsächlich ohne nachzudenken wegtechnisch alles richtig gemacht habe.

An das Bivaco Scaredi habe ich auch nur wenig Erinnerungen. Endlich ankommen, trinken, trinken, trinken, auf die Schlafmatte sinken und schlafen. Früh um 5 Uhr bin ich dann von einem feuchtem Traum der besonderen Art aufgewacht. Das Gefühl totalen Begehrens, das einen zu Tränen rühren kann.

Leider musste ich mir eingestehen, dass das Objekt meiner Begierde in diesem heißen Traum eine schnöde Dose Coca Cola war...

Da habe ich meinen Krempel zusammengepackt und bin noch vor Sonnenaufgang durch die Wolken ins Val Vigezzo abgestiegen. Du läufst jetzt so lange, bis Du diese verdammte Dose Cola bekommst. Völlig irre. Wie das wilde Schaf an der tröpfelnden Quelle.

Und tatsächlich: Nach drei Stunden die erste kleine Ansiedlung. Ein Tisch mit einer rot karierten Plastiktischdecke. Die Mama, den quengelnden Sohnemann auf der Hüfte, hatte tatsächlich eine Dose Cola für mich.

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Welche Wonne. Welches Glück. Endlich wieder dieses kostbare Gemisch aus Zucker und Salzen , versetzt mit köstlichem Koffein und belebender Kohlensäure. Hach...

Die Cola war übrigens laut Aufdruck in Kopenhagen hergestellt worden. Und so endete meine durstige Kurztour durchs wilde Val Grande mit einem europäischen Glückserleben.

 

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vor 5 Stunden schrieb questor:

Gibt es hier Val Grande Experten?

War letztes Jahr zum ersten Mal da, hat mir gut gefallen! 

Die aktuellsten Infos zu Schneelage, Wegezustand, Biwaks und Wassersituation bekommst Du in Tims Blog

http://valgrande.piemont-trekking.com/#home

Tim hat im Val Grande sozusagen seine Wahlheimat gefunden und kümmert sich dort auch um die Schutzhütten, die nicht immer im besten Zustand sind. Du kannst ihn mit Fragen an seine E-Mail-Adresse anschreiben.

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  • 8 Monate später...
  • 3 Monate später...

Ich habe gerade Deinen ValGrande-Bericht in meiner Mittagspause gelesen: Toll. Und Danke.

Ich war vor Jahren auch schon mal da und kann Deine Eindrücke von der "Weg"beschaffenheit nur bestätigen.
Ich war im Frühsommer dort und hatte noch mit Schneeresten und Eis in den schattigen Täler zu kämpfen.
Zudem hatte ich mich mal so verstiegen, dass ein Notbiwak in einem Steilhang anstand.

Auf jeden Fall sind es bleibende Erinnerungen, - und gleichzeitig kommt die Gegend jetzt wieder auf meine Liste, unter anderem wg. Deines Berichts. Danke nochmal

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@ticipico

Schön, dass Dir der Bericht gefallen hat. Das war damals nach ewig langer (Kinder)Pause meine erste Wandertour dieser Art - und im Nachhinein muss ich leider sagen: Komplette Selbstüberschätzung. Das Val Grande solo ist echt nichts für eine Einsteigertour. Inzwischen, nach mehreren langen Touren in den Pyrenäen und auf der GTA,  würde ich mir das eher zutrauen, aber damals? Ui, ui, ui, das hätte böse ins Auge gehen können... so komplett dehydriert und weit über meinem körperlichen Limit werde ich mich jedenfalls nie wieder die Berge hochknüppeln.

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