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Ultraleicht Trekking

Elm - Flims


Mars

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Letztes Wochenende war ich eher im Tal unterwegs, diesmal will ich hoch hinaus. Die Wetterprognosen sind besser, es ist kein Gewitter angekündigt. Also starte ich am Mittwoch eine Umfrage im Büro. Niemand hat mir einen brauchbaren Vorschlag. Nach Zernez in den Nationalpark ist es zu weit für ein Wochenende, ausserdem von wegen Schlafsituation. Im Nationalpark gibt es wirklich Ranger und die kennen die Gegend wie ihre Westentasche. Sie haben auch lustige Fernglässer.

Zunächst muss ich aber wieder zum Outdoor-Händler. In der Rucksack-Abteilung traurige Bilder, eine jüngere Frau ist gerade dabei, sich einen über-designten Rucksack “zum Wandern” zu kaufen. Man kann sein Geld auch am Bahnhof verteilen und trotzdem bequemer wandern. Diesmal haben sie ein Big Agnes Tigerwall Carbon aufgestellt. Für schlappe 1269 Franken ein Schnäppchen. Es enthält mehr Carbongestänge als das Fly Creek aus denselben Materialien, für das aber 110 Franken mehr aufgerufen werden. 

Ich erstehe einen Nobite Spray für Textilien. Bremsen hatten mich letzte Woche mit einem Snack verwechselt und mich durch die Schienbeinstulpen gestochen. Komischerweise habe ich diesmal überhaupt keine Probleme mit Mücken, obwohl ich nur die Stulpen besprüht hatte. Der Spray enthält 2 % Permethrin und der Geruch weckt nostalgische Gefühle. So rochen auch die Brücken auf dem PCT.  

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es regnet nur leicht...

Ich will in die Glarner-Alpen, die sind schön nah. Also auf nach Elm. Aus Elm kommt das berühmte Elmer-Citro (heute nicht mehr so verbreitet erhältlich) und Vreni Schneider, eine früher international sehr erfolgreiche Skifahrerin. Vor Elm regnet es, Abends um 8 Uhr bin ich da. Mein Plan ist, eine Gaststätte zu finden, damit ich die Nacht erholsam verbringen kann. Als rechtschaffender Bürger kann ich es mir nicht leisten, am Montag übermüdet im Büro zu erscheinen. Am Freitag hatten wir einen kleinen Versand-Plausch. Jemand hatte das Tram mit einer Disco verwechselt, wobei sein Verhalten auch in einer Disco kaum zu empfehlen ist. Es wird ihn 2000 Franken Busse kosten oder 20 Tage Knast. Plus Gebühren in 4stelliger Höhe. Jeder Geschädigten musste ich einen separaten Begleitbrief erstellen, es war wirklich mühsam. Da lobe ich mir die RogmF: Reisen ohne gültigen Fahrschein. 

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Das Tal ist eng, ich hoffe auf eine Schlafgelegenheit in Richtung Segnespass. Zunächst: Keine Chance, der Weg führt eine eigentliche Schlucht hinauf. Sehr schön, aber keine Gaststätte in Sicht. Es dämmert, gleichzeitig verziehen sich die Wolken. Die Gegend ist UNESCO Welterbe (was sich mir als echten Ignoranten erst beim Anblick einer Orientierungstafel erschliesst).

Rund um die Bergstation der Gondelbahn in Tschinglen will ich auch nicht. Der Boden hier bietet pro Quadratmeter ungefähr soviel Biodiversität wie unser ganzes Quartier und es gibt eben keinen Winkel, in dem man ungestört, sagen wir mal bis 8 Uhr Morgens, den Schlaf des Gerechten geniessen könnte. Kurz nach Elm kam ich sogar an einem Campingplatz vorbei. Ein einsamer VW-Bus stand dort. Die Toiletten hatten die Piktogramme aus den 60iger Jahren. 

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Elm liegt auf 978 m, nun bin ich bereits auf 1500. Vielleicht wird sich beim weiteren Aufstieg etwas ergeben? Gämsen fauchen mich an, ich habe immer den Eindruck, die Gämsen in den Alpen sähen besser aus, als jene im Jura. Im Jura sind sie fast schwarz, hier nur die Beine, der Körper ist braun, fast rot. Ich steige und steige, die Bäche tosen. Der Weg ist nass, aber Schiefer und meine Schuhe sowie deren Vibram Sohlen, mögen sich gut. Ich rutsche nie, nichtmal auf nassen Steinplatten. Es gibt einige Bäche zu queren. Ich treffe auf Schafe, weder ein Herdenschutzhund noch ein Hirte sind in Sicht. Dafür ist der Zaun derart nachlässig gesteckt, dass ich ein Mutterschaf und zwei Lämer ausserhalb des Zaunes antreffe. Überall hat es Felsen, üblicherweise werden wohl solche Wege eher nicht in der Nacht begangen. Schliesslich entdecke ich eine kleine Nase, gerade gross genug für mein Zelt. Es ist nun 23:30. 

Ob das gut geht? Diese Nase liegt inmitten eines grossen Kessels, völlig exponiert. Der Himmel ist klar, aber beim ersten Plop auf dem Zelt würde ich so rasch als möglich alles in den Rucksack stopfen und Fersengeld geben, soweit dies hier überhaupt möglich wäre. Die Baumgrenze ist weiter unten, ich bin über 2100 Metern. Ich lege mich hin, habe kalte Füsse, irgendwann ziehe ich meine wasserdichten Socken an, die andern sind nass. Dann kommt ein Wind auf. Ich habe keine Sturmleinen montiert, da ich eigentlich nicht im Sturm zelten will. Der Wind drückt aber das Zelt aus der Form. 

Dunkel wars, der Mond schien helle. Ein Blick nach draussen ergibt keine neue Erkenntnisse. Ich weiss nicht, ob der Wind noch zunehmen oder abnehmen wird. Mit einem Gewitter rechne ich eher nicht. Aber gemütlich ist anders. Also los, Kleider montiert, Rucksack halbwegs sinnvoll gepackt, Zelt gerettet, weiter gestiegen, nach immerhin 1.5 Stunden liegen. Zuoberst, auf dem Pass gibt es eine Hütte, vielleicht kann ich da wieder Hausbesetzer spielen. Augen leuchten in der Nacht, leider kann ich das zugehörige Tier nicht erkennen. 

Dann ein Schneefeld, mässig steil, machbar ohne Microspikes. Es hat Tierspuren darin, wie von einem sehr grossen Hund und es sind die einzigen Spuren, niemand ist mit seinem Waldi hier hinauf. Es gibt hier wirklich Wölfe. Wieso lässt mensch dann seine Schafe derart ungeschützt in der Natur draussen? Jemand scheint sich hier wenig um das Wohlergehen seiner Schafe zu kümmern. Dafür ist dann das Geschrei bei Wolfsrissen gross. Es steht auch eine Abstimmung an, im September, über ein revidiertes Jagdgesetz. Mit diesem Gesetz würde die Kompetenz, Wolfsabschüsse zuzulassen, an die Kantone gehen. 

Den lieben Wallisern beispielsweise, möchte ich aber genau diese Kompetenz grad nicht geben (es werden dort auch ohne Bewilligung Wölfe geschossen, es hat schon mal jemand einen Fuchs mit einem Wolf verwechselt - solche Jäger sind eine Gefahr für die Allgemeinheit. Wenn es nach mir ginge, dürfte der seine Waffen abgeben, die Jagderlaubnis sowieso, nur würde er fröhlich weiter herum ballern, gedeckt von allen Seiten und er wird noch in 20 Jahren Gratulationen für seinen ach so heroischen Abschuss entgegennehmen können).  

Oben angekommen, ist die Hütte verriegelt, es gibt keinen Platz rundherum, um ein Zelt aufzubauen. Die nachträglich konsultierte Webseite sagt, die Hütte öffne erst am 18. Juli. Der Pass ist 2625 Meter hoch und es gibt Schnee hier oben. Auf der Bündner Seite ist der Pfad ziemlich steil. Ich vertraue meinen Schuhen, aber nach 20 Metern kommen die Schneefelder. Ohne Microspikes wäre ich dort viel schneller gewesen, als mir lieb sein könnte. 

Meine Microspikes kommen auch vom Händler und sind somit angeblich hochwertig. Gemäss dem Hersteller Nortec sind es die leichtesten Microspikes der Welt. Jetzt gerade hätte ich aber lieber Heavyduty, also z.B. das Modell Alp. Aber entweder funktionieren meine Spikes wie angedacht oder es ist eben wirklich aus. Einmal ausrutschen, alle Knochen zerschlagen oder schlimmer. Es gibt nur wenig Spuren, allzu viele haben sich in dieser Saison noch nicht über diesen Pass getraut. Wahrscheinlich niemand morgens um 2. Es geht nun ganz langsam und vorsichtig vorwärts. Jeder Schritt wird zunächst eingeschätzt, dann mit den Stöcken gesichert bevor auch nur ein Bein bewegt wird. Ich bewege mich teilweise rückwärts und seitwärts, die Beine werden schon mal gekreuzt. Wahrscheinlich auch kreuz falsch.

Ein Schneepickel wäre jetzt hier nicht fehl am Platz (wenn ich denn in der Handhabung geübt wäre - bisher konnte ich mich leider nicht überwinden und habe deshalb noch keinen entsprechenden Kurs besucht. Ich befürchte, dass ich schon beim Aufstieg schräg angeschaut würde, mangels traditionellen Wanderstiefeln). 

Das leichte Stirnrunzeln des Busfahrers, der mich nach Elm gebracht hat, kommt mir in den Sinn. Wahrscheinlich ist er in der Freizeit Bergspezialist beim SAC und muss dann und wann Touristen einsammeln gehen. Irgendwann werden die Schneefelder weniger steil, entsprechend schneller komme ich voran. Es gibt sogar Netz, was mir als Tourist eine Anzeige der Karte ermöglicht. Auch nicht falsch, denn die Schneefelder sind tatsächlich so gross, dass der Schein meiner Lampe keine grossartige Orientierung ermöglicht. Die Richtungsanzeige auf der Karte schon. Ich muss tatsächlich alle 20 m meine Richtung kontrollieren, sonst gehe ich im Kreis, es gibt null Spuren dafür viele kleine Bäche.  

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Offenbar hat sich jemand aus Lüneburg hierher verirrt :ph34r:

Morgens um 4 Uhr 30 wird es wieder hell, gerade rechtzeitig für mich, um die grossartige Flimser Skisport Infrastruktur bewundern zu können. Pisten wurden wie Schneisen in die Berglandschaft gelegt, fixe Schneekanonen installiert. Auf mich wirken diese grotesken Installationen wie aus der Zeit gefallen. Mein Bedauern für Skigebiete, die Pleite gehen, hält sich teilweise in engen Grenzen. Wenigstens setzt man hier in Flims auch auf den Sommertourismus, die Landschaft sieht aus wie ein Alpendisneyland. 

Alles ist bemerkenswert sauber und aufgeräumt. Es gibt keine verlotterten Bauernhöfe wie beispielsweise auf der Rigi, jeder Stall sieht aus wie ein Museum. Dafür verlaufen alle Wanderwege sorgsam abgetrennt von den Mutterkuhherden. Jemand scheint sich hier Mühe zu geben und mensch will keine negative Presse von wegen Auseinandersetzungen mit Kühen. Es gibt ohnehin nur wenig Kühe, kein Vergleich zu entsprechenden Orten vor zwanzig Jahren. Dafür sehen die Weiden grosszügig aus und die Kühe liegen nicht im eigenen Sumpf. 

Der Weg hinunter nach Flims zieht sich, kein Wunder, ich bin die ganze Nacht gewandert und entsprechend müde. Genug Schlaf kriegte ich schon die ganze Woche nicht. Nun müsste ich mich irgendwo hinlegen und mindestens 7 Stunden schlafen können, um vernünftig weiter wandern zu können. Wohl könnte ich mich in einen Wald legen, aber es ist alles ziemlich offen, es gibt viele Bergbahnen. Also folge ich dem Fluss. Das tosen beginnt mich zu nerven. Vorsichtigerweise habe ich meine Route noch weiter als bis Flims geplant. Um die Weiterwanderung geniessen zu können, müsste ich aber wirklich schlafen. Die Bergbahnen pumpen Touristen den Berg hoch, es wird bald nur so wimmeln von Wandernden. Ab ins Postauto und Tschüss. 

Die andern Wandernden verrenken ihre Hälse. Ich bewege mich in die falsche Richtung und ich trage keine Stiefel. Auch rieche ich nicht nach Persil. Was soll mensch machen, ich habe meine 12 Stunden absolviert. Niemand hier wird heute Abend um halb 10 noch unterwegs sein. Die meisten sehen auch nicht gerade aus, als wären sie unterwegs nach Elm. Ich bin zufrieden, insbesondere mit meiner Schneewanderfähigkeit und meinen Steigeigenschaften. 

 

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Bearbeitet von Mars
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