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Ultraleicht Trekking

Arizona Trail 2019 - Desert Diaries Teil 1


Jäger

Empfohlene Beiträge

Ich bin jetzt schon seit einigen Monaten stolzes Mitglied dieses Forums und habe mir in dieser schweren Zeit viele Reisebericht von euch reingezogen, die mich sehr gut abgelenkt, unterhalten und inspiriert haben. Ich möchte im Folgenden auch etwas beisteuern und dadurch mein akutes Fernweh lindern. Es geht um meine Wanderung auf dem Arizona Trail im Herbst 2019. Kritik, Anregungen und Fragen sind herzlichst erwünscht. 

Grundlegende Informationen

 

Trail: Arizona Trail (AZT), Vereinigte Staaten der USA

 

Zeitraum: 03.10.2019-14.11.2019

 

Laufrichtung: SOBO (Utah –> Mexico)

 

Distanz: 790 Meilen ~ 1271 Kilometer

 

Höhenmeter: ~ 33700 Meter Anstieg

 

Baseweight: ~ 5,6 Kilogramm (Big Four: SMD Lunar Solo, Osprey Exos 48l, EE Enigma 10F Quilt, Neo Air Xlite Medium)

 

Wetter: Von 33° in der Tucson-Area bis -8° kurz vor Flagstaff war alles dabei. Die meiste Zeit über lagen die Temperaturen aber zwischen 20-25° tagsüber und 0-5° nachts. Geregnet hat es in der ganzen Zeit lediglich sechs Stunden.

 

Maximal und durchschnittlich getragene Wassermenge: 6 Liter / 3.5 – 4 Liter

 

Längster Foodcarry: 4 Tage, 116 Meilen ~ 187 Kilometer von Pine bis Roosevelt Lake Marina

 

Navigation: Guthooks

 

Wasseraufbereitung: Sawyer Squeeze in Kombination mit dem CNOC Vecto 2L, Aquamira Tabs als Backup

 

Wandererfahrung vor dem Trip: GR 221, WHW

 

Prolog: Leaving Las Vegas

 

Noch bevor die eigentliche Wanderung losging, stellte sich bereits die Anreise zum nördlichen Terminus des Arizona-Trails, der sich auf einer Länge von fast 800 Meilen durch den Grand Canyon State schlängelt, als ein Abenteuer für sich heraus.

 

Als Ich die heiligen Hallen des McCarran Airports in Las Vegas verließ, war die Temperaturanzeige auf dem Thermometer dreistellig, die Sonne brannte und die ersten Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Einige Abende zuvor strömte noch kühle Pazifikluft durch meine Lunge während Ich in einer Daunenjacke durch die Straßen Vancouvers zog, um alten Freunden einen Besuch abzustatten. Ich stieg in den Bus Richtung Downtown, wo das billigste Hostelbett auf mich warten würde, dass Ich im Internet auffinden konnte.

 

Nach einer schlaflosen Nacht klingelte mich mein Wecker bereits um 4 Uhr morgens aus dem Bett. Ich machte mich auf den Weg um meinen Bus nach Kanab zu kriegen. Nach einer 4 stündigen Busfahrt durch die rote Wüstenlandschaft  erreichte Ich mein Tagesziel, checkte im lokalen Hostel ein und verbrachte den Rest des Tages damit Proviant für den ersten Stretch zum nördlichen Rand des Grand Canyon zu kaufen. Außerdem schickte Ich zwei Resupply-Pakete voraus, die ausschließlich Nahrung enthielten.

 

Am nächsten Morgen wartete Barry in einem roten Truck vor dem Hostel. Er war ursprünglich aus Florida, verbrachte jedoch seinen Ruhestand in Arizona, fluchte viel und war sehr redselig. Er hatte über Facebook angeboten Hiker zum nördlichen Terminus zu fahren und rettete mir damit meinen Allerwertesten, da ein vergleichbares Shuttle sehr teuer geworden wäre. Die Fahrt dauerte 90 Minuten, von den die letzten 60 Minuten über eine anspruchsvolle Dirtroad führen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die einzige Möglichkeit den nördlichen Terminus des Arizona Trails zu erreichen, per Auto über die besagte Dirtroad von Utah aus führt. Am Terminus angekommen, bedankte Ich mich herzlich bei Barry, der ein obligatorisches Startfoto von mir schoss, und machte mich auf den Weg ins Unbekannte.

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Grenze zu Utah bis zum Grand Canyon North Rim (76 Meilen ~ 122km)

 

Es war zirka 10:30 Uhr als ich meinen ersten Schritt auf den Trail setzte und den Bundesstaat Utah hinter mir ließ. Mein Rucksack war mit Nahrung für vier Tage und 6 Litern Wasser beladen. Die ersten Kilometer waren schweißtreibend, da man direkt mit einem saftigen Anstieg auf den Buckskin Mountain begrüßt wird und der Sonne dabei schutzlos ausgeliefert wird. Als Ich den ersten Hügel erklommen hatte, drehte Ich mich noch einmal um, um einen letzten Blick auf Utah’s rote Canyonlandschaft zu erhaschen. Das Landschaftsbild würde sich in den kommenden Tagen drastisch verändern und vor allem durch gelbe Espen- und Kiefernwälder und steppenähnliche Abschnitte geprägt werden. Der erste Teil des Trails verläuft bis zum North Rim des Grand Canyons auf dem Kaibab-Plateau, das eine Höhe von bis zu 2805 Metern erreicht. Aufgrund der durchgehenden Bewaldung dieses Gebiets, merkt man selber kaum, dass man teilweise in einer Höhenlage wandert, die der der höchsten deutschen Alpengipfel entspricht. Lediglich nachts, wenn Temperaturen im Herbst gerne mal unter den Gefrierpunkt rutschen, wird man sich dessen bewusst. Mein erster Tag nahm nach 32 Kilometern sein Ende und Ich richtete erschöpft mein Nachtlager ein. Zum ersten Mal würde Ich ganz alleine in der freien Natur übernachten. Als totaler Newbie war Ich ziemlich nervös und analysierte jedes Geräusch, das in der Dunkelheit durch den Wald schallte. Der Höhepunkt meiner inneren Angespanntheit ereignete sich als eine Eule direkt neben meinem Zelt landete und das laute Schlagen ihrer Flüge mich mitten in der Nacht aus dem Halbschlaf riss. Irgendwann gelang es mir dennoch ein Auge zuzudrücken.

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Letzter Blick Richtung Utah

 

Am nächsten Tag packte Ich im Morgengrauen meine Sachen zusammen und setzte meine Reise fort. In 12 Kilometern würde Ich eine Landstraße kreuzen, die nach Jacob Lake führt. Ich durchschritt auf dem Weg dort hin einige kleinere Espenwälder, die im Herbst einen besonders schönen gelben Farbton annehmen und genoss die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf meinem Gesicht. Als Ich die Landstraße erreichte fand Ich einige Behälter mit Wasser wieder, die von Trail Angels bereitgestellt wurden. Ohne die Wassercaches, die an kritischen Stellen des Plateaus platziert wurden, wäre Ich um einen 8-10L Wassercarry wahrscheinlich nicht rumgekommen. Die sonst nur spärlich vorhandenen natürlichen Wasserstellen waren durch das Ausbleiben des Monsuns in den Sommermonaten kaum gefüllt oder gar ausgetrocknet. Jeder Wasser-Cache war ein Segen, und als Deutscher, der sich sein Wasser jederzeit Zuhause aus dem Hahn schöpfen kann, schätzt man dieses wertvolle Gut erst richtig, wenn es auf einmal nur noch in raren Mengen vorhanden ist. Nach einer kleinen Pause überquerte Ich die Straße und drang tiefer in den Kaibab Forest ein. Als Ich gegen 14 Uhr bereits 20 Meilen hinter mir gelassen hatte, traf Ich zum ersten Mal auf einen anderen Wanderer aus Kansas, der es sich auf einem Baumstamm bequem gemacht hatte. Sein Trailname war „Coyote“ und er war ebenfalls auf dem Weg nach Mexiko. Wir verstanden uns auf Anhieb, als wären wir schon seit Jahren miteinander befreundet gewesen. Wir aßen gemeinsam zu Mittag, philosophierten über Gott und die Welt und machten uns danach gemeinsam auf den Weg, um einen guten Campspot zu finden, den wir bei Einbruch der Dunkelheit erreichten.

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Am Morgen des dritten Tages wurden Coyote und Ich durch das Heulen von einem Rudel echter Coyoten geweckt. Das Geräusch wurde immer lauter während Ich aus dem Innern meines Zeltes lauschte. Als das Gejaule nach einiger Zeit wieder verstummte, packten wir unser Zeug zusammen und brachen auf. Nach 16 Kilometern trennten sich unsere Wege jedoch schon. Coyote würde zu einem kleinen Outpost abseits des Weges wandern, um sich nochmals mit Essen einzudecken. Es waren schließlich noch 40 Kilometer zum Grand Canyon und sein rechter Fuß machte ihm bereits seit einigen Tagen zu schaffen. Wir verabschiedeten uns, wünschten einander das Beste und blieben über Social Media in Kontakt (wir würden uns am Ende wiedersehen und gemeinsam noch ein Teilstück des CDT wandern). Ich hatte mir aus logistischen Gründen das ambitionierte Ziel gesetzt an dem Tag insgesamt 56 Kilometer zum North Rim zu laufen. Ich lag gut in der Zeit und überquerte am Mittag nach 35 Kilometern die Nationalparkgrenze. Von da an gab es kein Zurück mehr, da das Zelten außerhalb etablierter Zeltplätze ohne ein Permit, das nur persönlich im Backcountry Office erworben werden kann, illegal ist. Nach 13 Stunden erreichte Ich völlig ermüdet den Campground am nördlichen Rand des Grand Canyons. Ich werde wohl nie vergessen wie sich nach 120 Kilometern Wald auf einmal die schiere Endlosigkeit und Weite des Canyons im Abendrot vor mir auftat und mich die Strapazen des Tages vergessen ließ. Im Hintergrund waren die San Francisco Peaks zu sehen, darunter auch der höchste Berg Arizonas, Humphreys Peak, der eine stattliche Höhe von 3851 Meter aufweist. Kein Foto dieser Welt tut der tatsächlichen Schönheit des Canyons nur annähernd zu Genüge (Ich habe trotzdem mal eins angehängt). Nachdem die rote Kugel hinter dem Horizont verschwand und es allmählich zu dämmern begann, bemerkte Ich eine Gruppe von Leuten, die stark nach Thruhikern aussah. Der Verdacht bestätigte sich und Ich freundete mich mit fünf Amerikaner an, die aus allen Winkeln des Landes nach Arizona gekommen waren, um diesen Trail zu wandern oder mit dem Rad zu erkunden. Einer von ihnen hatten bereits ein Permit für den Bright Angel Campground am Boden des Grand Canyons organisiert und wie der Zufall es wollte, war noch ein Platz übrig. Ich musste nicht lange überlegen und sagte sofort zu. Am morgigen Tag würde ein kleiner Traum von mir wahr werden: Ich würde auf den Grund des Grand Canyons hinabsteigen.

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Am 28.11.2020 um 13:27 schrieb Jäger:

Thermometer dreistellig, die Sonne brannte .... Downtown,

downtown, oh no.

thanks!

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*****

@Jägerdanke für die fototapete. ich würde mich freuen, wenn du noch mehr als nur dies eine foto anhängst:-)

Bearbeitet von hans im glueck
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Wow, ich freue mich schon auf die weiteren Berichte. Da ich diese Gegend kenne (habe 3 Jahre im Nachbarbundestaat NM gelebt) kann ich mich in deine Erzählung hineinversetzen. Bin auch gespannt ob du durch einige Indianerreservate durchgekommen bist. Damals wäre ich aber nie auf die Idee gekommen weder NM noch AZ zu Fuß zu durchstreifen :grin:

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Wow, dein Reisebericht fängt schon grandios an! Bin gespannt, wie es weitergeht.

Beim nähen schaue ich nebenbei Thruhikevideos auf YT. Gestern habe ich ein Video vom Arizona Trail gesehen und mir gedacht, zu welcher Jahreszeit man den wohl am besten geht. Nun entdecke ich gerade deinen Reisebericht. Oktober und November wäre auch meine Vermutung gewesen, denn im Sommer ist es dort bestimmt viel zu heiß. 

Muss man auf dem Trail immer auf offiziellen Zeltplätzen übernachten?

Die Anfahrt zur den Startpunkten scheint bei vielen US-Thruhikes wohl schwierig zu sein. Gerade als Ausländer stelle ich mir das nicht einfach vor. Ein Glück, dass du jemanden gefunden hast, der dich hingebracht hat.

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Vielen Dank für das freundliche Feedback! Ich werde den nächsten Abschnitt zeitnah online stellen.

vor 2 Stunden schrieb Mia im Zelt:

Oktober und November wäre auch meine Vermutung gewesen, denn im Sommer ist es dort bestimmt viel zu heiß. 

März, April und Mai sind auch beliebt, dann allerdings in entgegengesetzter Richtung. Bei einem frühen Start kann es jedoch dazu kommen, dass man in den Bergen zugeschneit wird und sich Teile des Trails in eine Matschlandschaft verwandeln. Das war zum Beispiel letztes Jahr im Frühling der Fall und hat viele Wanderer zum aufhören bewegt. Das gesamte Kaibab-Plateau war selbst im Mai noch zugeschneit, sodass es ohne Schneeschuhe kaum möglich war, den Abschnitt zu bewältigen. 

vor 2 Stunden schrieb Mia im Zelt:

Muss man auf dem Trail immer auf offiziellen Zeltplätzen übernachten?

Nein. Lediglich im Grand Canyon und Saguaro Nationalpark gibt es diesbezüglich Vorgaben. 

 

vor 2 Stunden schrieb Mia im Zelt:

Die Anfahrt zur den Startpunkten scheint bei vielen US-Thruhikes wohl schwierig zu sein. Gerade als Ausländer stelle ich mir das nicht einfach vor. Ein Glück, dass du jemanden gefunden hast, der dich hingebracht hat.

Es gibt eigentlich zu jedem großen US-Trail eine Facebook-Gruppe, in der des öfteren Fahrten zum Trail von Leuten angeboten werden. Es kann auch lohnenswert sein, die auf der jeweiligen Trailwebsite gelisteten Trailangel zu kontaktieren. Wenn man Zeit, Spontanität und etwas Mut mitbringt, dann kann man in den USA auch gut per Anhalter durch die Gegend reisen. Es gibt aber auch viele Shuttle-Services, die einen in der nächstgrößeren Stadt, die meist per Bus oder Flieger zu erreichen ist, abholen, und dann zum Trail bringen. 

 

 

Bearbeitet von Jäger
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vor 10 Stunden schrieb Mia im Zelt:

Die Anfahrt zur den Startpunkten scheint bei vielen US-Thruhikes wohl schwierig zu sein. Gerade als Ausländer stelle ich mir das nicht einfach vor. Ein Glück, dass du jemanden gefunden hast, der dich hingebracht hat.

Hab nur gute Erfahrungen gemacht beim Autostoppen in den USA. Wenn du da irgendwo in der Pampa bist und ein Farmer, Jäger oder andere Outdoormenschen fahren vorbei dann bleiben die stehen. Aber selbst von Interstate auffahrten schon gestoppt und auch das war kein Problem. 

Ich bin bei meinem AZT hike von Page aus gestartet, direkt aus der Stadt raus gleich mitgenommen worden.. Es ist nur wichtig das man einen überblick hat welche Straße wohin führt, dass kann vor Ort oftmal schwierig sein, bzw nicht jeder weiß wo der "xy trailhead" ist da muss man sich bissl vorbereiten darauf wie man das am besten macht :)

 

 

Bearbeitet von Matthias
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Grand Canyon Rim-to-Rim (23.9 Meilen ~ 38.5 Kilometer)

Am Morgen des sechsten Oktobers wurde ich durch das grelle Leuchten einer Kopflampe aus dem Schlaf gerissen. Ich schlief mit einer offenen Apside und daher trafen mich die Lichtstrahlen direkt ins Gesicht. Die Übeltäter, die gerade damit beschäftigt waren ihr Lager abzubauen, waren sich der Existenz des Redlight-Modus auf ihren Kopflampen anscheinend nicht bewusst. Genervt packte Ich meine Sachen zusammen und wartete darauf, dass die Sonne am östlichen Horizont emporstieg. Ich merkte, dass die hohe Laufleistung der Vortage Spuren hinterlassen hatte. Meine Waden fühlten sich so an, als hätte sie jemand über Nacht mit Blei vollgepumpt.

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Der heutige Tag würde zwar nur mit 24 Kilometern zu Buche schlagen, aber meine Knie fingen schon beim bloßen Gedanken an die 1800 Höhenmeter Abstieg die mir bevorstanden, an zu schmerzen. Während die anderen noch schliefen, setze Ich bereits wieder einen Fuß vor den anderen. Der beschwerliche Abstieg in die Tiefen des Canyons zog sich, aber mit jeder Serpentine, die ich hinter mir ließ, offenbarten sich neue Perspektiven auf das Tal und den Colorado-River. Je tiefer ich kam umso heißer wurde es auch, und ich war froh darüber mich für einen frühen Start entschieden zu haben. Statt der Kiefern- und Espenbäume prägten nun Kakteen, Yucca-Palmen und roter Kalkstein das Landschaftsbild.

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Ich nutzte jede Möglichkeit um meine Trinkflaschen aufzufüllen und meinen Sonnenhut mit eiskaltem Flusswasser durchzuspülen. Als sich die Temperatur zum Mittag hin auf fast 40 Grad Celsius hochgeschaukelt hatte, musste ich mich von einer schattigen Stelle zur nächsten hangeln, um in diesem natürlichen Backofen nicht lebendig geröstet zu werden. Etwa drei Kilometer vor der legendären Phantom Ranch kam mir ein älterer Mann entgegen, der weder einen Rucksack noch Wasser bei sich trug. Nachdem wir uns zunickten und er eigentlich schon an mir vorbeigezogen war, drehte Ich mich nochmal um, und fragte ihn, ob er nicht etwas Wasser bräuchte. Er winkte dankend ab und erzählte mir anschließend, dass er im Nationalpark arbeiten würde und nur einen kleinen Verdauungsspaziergang unternahm. Wir kamen ins Gespräch, und als er erfuhr, dass Ich mich auf dem Weg nach Mexiko befand, bot mir an später Pizza und Spare Rips ins Camp zu bringen, die vom Vortag übriggeblieben waren. Nach vier Tagen Trockenfutter war das ein Angebot, welches Ich schlecht hätte ausschlagen können. Ich war überrascht von der Freundlichkeit des Fremden und freute mich schon unheimlich auf das Abendmahl. 

Als ich die Ranch nachmittags erreichte, genehmigte ich mir zunächst eine eiskalte Limonade und döste im Schatten eines Wachholderbaums vor mich hin. Nach einer kleinen Pause schaute ich mich um und landete bei der Rangerstation. Dort wurde Ich Zeuge davon, wie man jemanden mit einem Hitzeschlag behandelt. Eine Frau, die kurz vor dem Kreislaufkollaps stand, wurde von einem Ranger schnurstracks zu einem Duschkopf geführt, der aus der Außenwand der Station herausragte. Wenige Sekunden später strömte eiskaltes Wasser auf die Wanderin nieder, der es danach sichtlich besser ging. Auch für mich wurde es Zeit für eine kleine Abkühlung. Ich suchte mir in einem Seitenarm des Colorado Rivers ein geeignetes Plätzchen und tauchte für einige Minuten in den eiskalten Bach ein. Kurze Zeit später traf ich die anderen an der Phantom Ranch wieder und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zu unserem Zeltplatz. Die Nationalparkverwaltung hält für Wanderer des Arizona Trails eine eigene Fläche abseits des Touristen-Campgrounds frei, da dieser meist restlos ausgebucht ist.

Während sich der Schatten, den die Canyonwände am frühen Abend auf das Tal warfen, immer weiter ausdehnte, tauschte Ich mich mit den anderen über unsere heutigen Erlebnisse aus. Alle schwärmten in Superlativen vom Canyon. Selbst Nathan, der einzige Biker unter uns, der sein Fahrrad durch die Schlucht schleppen musste, war begeistert gewesen. Er hatte sein Bike dafür provisorisch an seinem Tagesrucksack befestigt, Teile seiner Zlite unter den die Schultergurte getapt und trug den ganzen Weg über verdammt enge Fahrradschuhe, die ihm etliche Blasen bescherten.

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Im Schein der Dämmerung tauchte der ältere Herr, den Ich kurz vor der Ranch getroffen hatte, wie ein Lieferbote mit der Pizza und den Spare Rips auf. Wir teilten die Beute unter uns auf, während uns unser Samariter, der die Gegend wie seine Westentasche kannte, etwas über die Geschichte und Geologie des Canyons erzählte. Nachdem uns einige Zeit später die Müdigkeit überfiel, verabschiedeten wir uns von ihm und begaben uns wohlgenährt zu unseren Schlafplätzen. In dieser Nacht nächtigten wir alle unter freiem Himmel. Ich betrachtete noch eine ganze Weile den klaren Sternenhimmel, bevor ich einschlief.

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Am nächsten Tag setzte sich gegen fünf Uhr morgens im Camp langsam alles in Bewegung. Wir wollten der drohenden Hitze zuvorkommen und daher so früh wie möglich mit dem neun Kilometer (~1500Hm) langen Aufstieg aus dem Canyon beginnen. Ich wanderte die erste halbe Stunde im Dunkeln und überquerte dabei die Fluten des Colorado Rivers. Die morgendliche Stille wurde lediglich durch das Rauschen des Flusses und das Knirschen meiner Schritte auf dem sandigen Boden unterbrochen. Ich drehte mich gefühlt alle zehn Schritte um, um ein Foto zu schießen und die Canyonwände im Licht der Morgensonne zu bestaunen. Es verging einige Zeit bis mir jemand von oben entgegenkam. Zuerst waren es Trailrunner, dann ein Cowboy, der eine Gruppe von Maultieren hinabführte, und zu guter Letzt, Wanderer und Tagestouristen. Nach dreieinhalbstunden Aufstieg berührten die Sohlen meiner Schuhe den Asphalt am Rande des South-Rims, und als ich zur nördlichen Seite zurückblickte, konnte Ich kaum glauben, dass das alles bereits hinter mir lag. Ich beschloss noch 5 Kilometer zum Visitor Center weiterzulaufen und mir den Rest des Tages freizunehmen.

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Nachdem ich im Grand Canyon Village angekommen war, peilte Ich zunächst den Supermarkt an, der eine kleine Pizzeria beherbergte. Dort ließ Ich meinen Essengelüsten freien Lauf und ließ mich erschöpft in einen Stuhl auf der Terrasse vor dem Laden sinken. Es schien, als hätten die anderen den gleichen Gedanken gehabt, denn kurze Zeit später stieß Hot Sauce, die ich am North Rim kennengelernt hatte, zu mir. Auch Nathan kam nur wenige Minuten danach auf seinem Bike angerollt und gesellte sich zu uns. Er hatte es tatsächlich geschafft sein Fahrrad in nicht einmal vier Stunden zum South Rim hochzuhieven. Wir verbrachten den Rest des Tages damit, unsere Vorräte aufzustocken, Elektronik aufzuladen und Klamotten zu waschen. Als der Tag sich langsam dem Ende neigte, fanden wir uns im Schatten einiger Kiefernbäume auf dem Mather Campground wieder. Die Nacht war ruhig. Ein leichter Wind wehte durch den Nadelwald.

Bearbeitet von Jäger
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Grand Canyon South Rim – Flagstaff (~ 180 Kilometer)

Am 8. Oktober war der Zeitpunkt gekommen sich vorerst von diesem magischen Ort zu trennen. Ich würde dem Grand Canyon den Rücken zukehren und mich auf den Weg Richtung Flagstaff machen. Während Nathan und Hotsauce noch fest im Inneren ihrer Zelte zu schlummern schienen, schlugen die Spitzen meiner Trekkingstöcke in einem mittlerweile vertrauten Rhythmus auf den geteerten Grund der Parkstraße. Zunächst ging es auf einem asphaltierten Fuß- und Fahrradweg, der parallel zum Highway verlief, zwei Stunden südwärts. Danach bog der Trail nach Osten ab. Die hochfrequentierte Straße samt Autos begann allmählich in der Ferne zu verschwinden. Das Quietschen von Gummi auf Teer wurde durch das harmonische Zirpen von Heuschrecken ersetzt.

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Nach den anstrengenden Höhenmeter der vergangenen Tage waren die flachen Forststraßen, auf denen ich mich nun bewegte, eine wahre Wohltat für meine Beine. Als ich mich mittlerweile völlig an die Stille der neuen Umgebung gewöhnt hatte, und in Gedanken versunken Schritt für Schritt nach vorne ging, erklang plötzlich ein lautes Geräusch hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um und muss wohl ausgesehen haben wie ein Reh im Scheinwerferlicht, denn Nathan, der soeben eine lässige Vollbremsung auf seinem Fahrrad hinlegt hatte, schien sichtlich amüsiert über meine Reaktion gewesen zu sein. Während mein Puls dabei war langsam wieder zu seiner gewohnten Frequenz zurückzufinden, plauderten wir noch ein wenig, tauschten Kontaktdaten aus und sagten einander Lebewohl. Er brauste mit beeindruckender Geschwindigkeit davon und ließ mich in einer braunen Staubwolke zurück. Am darauffolgenden Tag würde er in Flagstaff bereits wieder in den Genuss von zivilisatorischen Errungenschaften wie Kabelfernsehen, Highspeed-Internet und Toilettenspülungen kommen.  

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Gegen Mittag traf ich nach etwa 20 Meilen auf den Rest der Gruppe, den ich seit dem Treffen am North Rim kannte: Homeless Guy, Bangerang und Shortcut. Sie hatte es sich im Schatten eines Aussichtsturms gemütlich gemacht und waren damit beschäftigt ihre Poptart- und Cheetos-Vorräte zu dezimieren. Anstatt wie Hotsauce, Nathan und meine Wenigkeit noch etwas im Nationalpark zu verweilen, hatten sie sich dafür entschieden in einem Motel in Tusayan, einer kleinen Siedlung südlich des Parks, abzusteigen. Jeder von ihnen hatte bereits zahlreiche US-Trails auf dem Kerbholz, was sie quasi zu einem laufenden Lexikon für mich machte, dessen Gewicht ich nicht tragen musste.

Mein Wasservorrat hatte ein kritisches Level erreicht, was aber nicht weiter schlimm war, da die nächste Quelle, ein Cowtank, nur eine halbe Meile von unserem Standort entfernt war. Bangerang und ich machten uns auf den Weg und mussten am Ende kurz über einen kleinen Zaun klettern, um an das mit Algen überzogene Wasser zu gelangen. Nachdem ich meine Flüssigkeitsbehältnisse aufgefüllt hatte, wurde der exotische Trunk, der farblich wenig Ähnlichkeiten mit dem Trendgetränk H2O aufwies, natürlich auch verköstigt. Das Ganze schmeckte in etwa so, wie stehende Gewässer riechen, bewegte sich aber gerade noch in dem Rahmen, in dem eine Untermischung von Geschmacksverstärkern für den Verzehr nicht notwendig war. Als wir mit jeweils vier Litern zurück zu den anderen stießen, hingen wir noch für eine Weile gemeinsam ab, bevor ich mich erneut von der Gruppe trennte, da ich im Gegensatz zu den anderen gerne den offiziellen Teil des Trails laufen wollte. Während ich auf einem kleinen Pfad zwischen den Büschen verschwand, entschied sich der Rest für eine Abkürzung über eine nahegelegene Dirtroad. Ich wanderte noch einige Kilometer bis das Tageslicht langsam erlosch. Im Schutze der Dunkelheit errichtete ich mein Lager unter einem kleinen Wachholderbaum, der unmittelbar an einer Lichtung lag, von der aus man Teile des North Rims sehen konnte. Als ich eigentlich schon dabei war mich in die Horizontale zu begeben, vernahm ich das Knacken von Ästen. Ich drehte ich mich um und konnte meinen Augen kaum trauen. Eine Gruppe Wapitis graste im Schein des Vollmonds nur wenige hundert Meter von mir entfernt. Ich schaute ihnen noch eine ganze Weile zu, bevor ich mich in mein Quilt verkroch.

Am nächsten Tag wanderte ich für einige Stunden durch vom Herbstlaub geprägte Wälder und genoss die Einsamkeit. Der Baumbestand nahm jedoch zum Mittag hin deutlich ab. Der Trail verlief fortan auf Schotterpisten entlang riesiger offener Flächen, die der Aufzucht von Rindern dienten. Ich füllte mein Wasser immer wieder an Cowtanks auf, die in einem Abstand von 10-20 Kilometern aufeinander folgten. Humphrey Peak, dessen Silhouette ich aus der Ferne vom North Rim bestaunen konnte, dominierte nun den Horizont der sich vor mir auftat. Mit jedem Kilometer kam ich dem Koloss aus Vulkangestein näher.

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Wie auch am Tag zuvor, stieß ich auch heute wieder auf den Rest der Truppe, der in Nähe eines Cowtanks vor sich hindöste. Da es den ganzen Tag über schon sehr windig war, und der Wetterreport für die Nacht auch keine Besserung versprach, fassten wir den Beschluss gemeinsam weiterzuwandern, um uns zu einem kleinen Areal durchzuschlagen, dass laut Satellitenkarte einige Bäume beherbergte. Als wir den besagten Ort erreichten, war uns klar, dass wir keinen Platz finden würden, an dem wir gemeinsam zelten konnten. Deshalb teilten wir uns auf, um unsere individuellen Erfolgschancen zu erhöhen. Ich graste unterschiedliche Spots ab, die aber alle sehr schlechte Bodenverhältnisse (scharfe Steine oder uneben) aufwiesen, bevor Ich endlich eine Stelle gefunden hatte, die meinem deutschen Verlangen nach Ordnung und Perfektion halbwegs zusagte. Ich verankerte mein Zelt im Boden und genoss den Ausblick auf Humphreys Peak, der sich im strahlenden Licht des Sonnenuntergangs von seiner besten Seite zeigte. Auf der einer afrikanischen Savanne ähnelnden Ebene war außer mir lediglich ein schwarzer Bulle zu sehen, der langsam durch das Gras streifte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, zog ich mich in mein Zelt zurück und widmete mich einem Podcast. Kurze Zeit später passierte dann etwas Unglaubliches. Der schwarze Bulle stand plötzlich direkt vor meinem Zelt und ließ seine kräftigen Waden unter meiner Apside aufblitzen. Im nächsten Monat begann er an meinem Zelt zu schnüffeln und steckte seine Schnauze sogar unter die Vestibule, um meine Schuhe zu inspizieren. Ich rührte mich währenddessen nicht einen Zentimeter, hatte aber auch nicht wirklich Angst vor dem Tier, da seine Absichten friedlich zu sein schienen. Als der Bulle wohl genug vom Gestank meiner Trailrunner hatte, stampfte er langsam davon. Ich schlief kurze Zeit später ruhig ein. Der Wind nahm in der Nacht zu und das laute Flattern des Zeltstoffes führte dazu, dass ich einige Male aufwachte. Mein Zelt blieb jedoch stehen. Von dem Bullen fehlte jegliche Spur.

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Nachdem Ich mein Lager im Morgengrauen abgeräumt hatte, stieß ich zu den anderen. Ich erzählte ihnen von meiner gestrigen Begegnung mit dem Bullen und sie konnten es kaum fassen. Der Wetterbericht hatte für die heutige Nacht Temperaturen bis Minus 6 Grad Celsius angesagt. Der Wind war immer noch in Bewegung gab sich den ganzen Tag über Mühe, uns das Leben in diesem exponierten Gelände schwer zu machen. Trotz Sonnenschein sah ich mich zum ersten Mal dazu gezwungen meinen Midlayer überzuziehen, um nicht zu frieren. Während einer kleinen Rast suchten wir die Karte nach geschützten Übernachtungsspots ab und wurden fündig. Nach 20 Meilen würden wir in ein Waldgebiet kommen, dass uns heute Nacht ausreichend von den Elementen Schutz bieten würde. Jeder begann den Rest des Tages in seinem eigenen Tempo weiter zu wandern bis wir schließlich am Abend an der ausgemachten Stelle gemeinsam zusammenkamen. Als die Dunkelheit einsetzte, sank die Temperatur erheblich und mein Atem begann beim Austreten sofort zu kondensieren. Ich streifte mir meine gesamte Kleidung über, stopfte meinen Wasserfilter in die Jackentasche und verschwand in den Tiefen meines Quilts.

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Homeless Guy machte seinem Namen am nächsten Morgen alle Ehre. Er hatte in der kältesten Nacht, die wir auf dem Trail erleben würden, auf einer Thermarest Uberlite biwakiert, die aufgrund eines Lochs den Schlafkomfort eines Backsteins hatte. Mit zitterndem Körper verstaute er sein Quilt, das auf lediglich 5 Grad Komforttemperatur ausgelegt war, in seinem Rucksack und verfluchte seine Ausrüstung. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg und verbrachten einige Zeit zusammen, bevor der Ruf der Natur uns trennte. Es waren nur noch 30 Meilen bis zum Highway, den der Trail am Stadtrand von Flagstaff kreuzte. Die Bedingungen waren perfekt. Die flachen Forstwege und der Gedanke an eine warme Dusche, ein Bett und mexikanisches Essen erlaubten es mir die Meilen regelrecht zu fressen. Als die Sonne langsam am westlichen Firmament verschwand und ich nur noch 12 Kilometer vor mir hatte, trennte ich mich von meinem restlichen Wasser und begann Teile der Strecke zu joggen. Ich erreichte den Highway in der Dunkelheit. Danach musste Ich noch 15 Minuten zu einer Haltestelle laufen, von der aus ich einen Bus ins Stadtzentrum nehmen konnte.

Mittlerweile waren die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt gefallen und meine Beine schwer wie Beton. Als ich gegen 19 Uhr völlig erschöpft im einzigen Hostel der Stadt ankam, trat das Worst-Case-Szenario ein: Die Unterkunft war restlos ausgebucht. Die Rezeptionisten erklärte mir daraufhin, dass auch fast alle anderen Motels in der Stadt vollständig ausgelastet waren. Ich schaute online nach Alternativen und versuchte über das Hostel-Telefon einige Trailangels zu erreichen, die auf der AZT-Website aufgelistet waren. Beide Ansätze verliefen jedoch erfolglos. Der Tag, der bis hierhin eigentlich optimal verlaufen war, begann sich allmählich in einen Alptraum zu verwandeln. Zum ersten Mal bereute ich es kein mobiles Internet auf meinem Smartphone zu haben, da mir dies zumindest diese Überraschung erspart hätte.

Betrübt verließ Ich die warme Lobby des Hostels und begab mich erneut in die Kälte der Nacht. Mit verdreckten Beinen und zwei leeren Wasserkanistern, die ich auf dem Trail aufgesammelt und an meinem Rucksack befestigt hatte, streifte ich wie ein Obdachloser durch die lokale Fressmeile, um zumindest eine warme Mahlzeit zu mir zu nehmen. Während ich auf mein Essen wartete, setzte ich einen Post in der AZT-Facebook-Gruppe ab und erklärte darin meine missliche Lage. Selbst das lang ersehnte mexikanische Essen konnte mich nicht wirklich aufmuntern, da der Ausgang dieser Nacht noch ungewiss war. Ich betrachtete die grell schimmernden Neon-Reklamen und roten Rücklichter vorbeifahrender Autos, bevor mein vibrierendes Handy meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Jennifer, ein Mitglied der Facebook-Gruppe, hatte sich bei mir gemeldet und bot mir an in ihrer Ferienwohnung zu übernachten. Erleichterung machte sich bei mir breit und vertrieb sofort alle Zweifel, die sich in meinem Inneren breit gemacht hatten. Ich sagte ihr sofort zu und nahm ein Uber, das mich nach 20 Minuten Fahrt vor ihrer Haustür absetzte. Als sie die Tür öffnete, fielen direkt drei liebenswürdige Hunde über mich her, die mich abschleckten und neugierig beschnüffelten. Ich stellte mich, Jennifer, ihrem Mann und ihren Kindern vor und bedankte mich bei ihnen für die mir entgegengebrachte Gastfreundschaft. Anschließend führte Jennifer mich zu einem kleinen Bungalow in ihrem Garten und machte mich mit der Räumlichkeit vertraut. Ich bedankte mich erneut bei ihr, bevor wir uns eine gute Nacht wünschten und sie wieder zu ihrer Familie zurückkehrte. Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen und konnte selbst kaum glauben, dass diese Nacht letztendlich einen positiven Ausgang gefunden hatte. Während die gelbroten Flammen im rustikalen Ofen am anderen Ende des Zimmers noch vor sich hin knisterten, schloss ich langsam meine Augen und schlief zufrieden ein.

Bearbeitet von Jäger
Rechtschreibung
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vor 20 Stunden schrieb wernator:

Wahnsinnig tolle Bilder und schön geschrieben! Hast du deine Packliste schon irgendwo gezeigt?

Vielen Dank für die Blumen! Die exakte Packliste habe ich nicht mehr, aber ich habe auf die Schnelle nochmal mein damaliges Setup nachgebaut: https://lighterpack.com/r/lyvll5

 

 

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Am 30.11.2020 um 21:30 schrieb Mia im Zelt:

Gerade als Ausländer stelle ich mir das nicht einfach vor. 

mal dir ein schild "german to  ...", stell deinen rucksack gut sichtbar vor dich und du bist weg bevor noch das 10. auto an dir vorbeigefahren ist. ne krachlederne hilft auch, aber nur mit strammen wadeln.

ich bin insgesamt 5x durch die usa mit der längsten wartezeit 20 minuten.

das war  mitten auf dem knoten 3er autobahnen in chicago. das war der trip mit der 150l duffelbag, 110 l rucksack und ein paar ski. ich denke die lilanen bergstiefel haben geholfen.<_<

die kamera liegt auf dem gepäck, leider...1690929749_usa1986(4).thumb.jpg.ee1788a035348ea68134bd323b1e6b44.jpg

Bearbeitet von danobaja
pic eingefügt
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vor einer Stunde schrieb wernator:

 

Danke für die Liste!

Was war für dich eigentlich der Grund SOBO zu laufen? Für mich soll es bis jetzt NOBO gehen um die schönsten und anspruchsvollsten Stellen am Ende zu haben

Beim Arizona Trail hängt das maßgeblich von der Jahreszeit ab, d.h.: NOBO im Frühling und SOBO im Herbst.

Gründe für den SOBO im Herbst (Start Ende September bis Mitte Oktober):

- Auf dem Kaibab Plateau liegt meistens noch kein Schnee.

- Die nächtlichen Temperaturen fallen auf dem Kaibab-Plateau und in der Flagstaff-Area nicht allzu extrem aus.

- Die Facilities am Grand Canyon North Rim haben lediglich bis zum 15. Oktober geöffnet.

- Der südliche Teil des Trails (hoher Wüstenanteil) kann Ende September/Anfang Oktober immernoch Tagestemperaturen bis über 40 Grad Celsius erreichen. Durch den Start im Norden verzögert man dadurch quasi seine dortige Ankunft und wandert dann zum Ende hin mit hoffentlich angenehmerem Wetter. 

Letztendlich geht es darum den Teil bis Flagstaff hinter sich zu bringen bevor der erste Schnee fällt und du jede Nacht Temperaturen im Minusbereich trotzen musst. Bei dem NOBO im Frühling ist das genau umgekehrt: Man versucht seine Ankunft in Flagstaff in der Regel soweit wie möglich hinauszuzögern, um ein möglichst schneefreies Erlebnis zu haben. Das ist aber deutlich schwieriger, da es selbst noch im Mai zu spontanem Schneefall kommen kann. Ich habe mal einen Kollegen angefragt, der zwei Mal NOBO unterwegs war und beide Male im Mai für jeweils zwei Tage zugeschneit wurde. Hier drei Bilder von ihm:

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Im Frühling 2019 haben viele NOBOS das Handtuch geworfen, da im April sogar noch die Berge im Süden ( z.B. Mount Lemon) zugeschneit waren und der Trail nur noch matschig war. Am North Rim haben sich die meisten dafür entschieden über die Parkstraße Richtung Jacob Lake zu laufen, da der Trail nur mit Schneeschuhen passierbar war. 

Die anspruchvollsten Stellen sind eigentlich die im Süden ;) Der Start NOBO ist wesentlich anspruchsvoller, da man gleich mit dem Wüstenklima konfrontiert wird und viele Auf- und Abstiege auf einen warten. Erst ab Pine wird es angenehmer. Dafür kann man am Ende auf den flachen Abschnitten richtig Gas geben, sofern es das Wetter zulässt. Zwei Vorteile, die ich noch am NOBO sehe: Frühling in der Wüste (alles blüht) und Grand Canyon als Highlight zum Ende des Trails. 

Bearbeitet von Jäger
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mit schnee siehts auch gut aus! :-)

OT: stichwort trampen

vor 7 Stunden schrieb danobaja:

wartezeit 20 minuten.

das war  mitten auf dem knoten 3er autobahnen in chicago

zum stichwort chicago dann doch jetzt mal das negative tramp-erlebnis, weils das auch gibt: südliches illinois, lange her, rückweg von cahokia: das erste auto hält, ein np-ranger irgendwas, nett ... erzählt mir dann im auto, dass trampen hier ja eine schwere straftat sei (stimmt(e), wusste ich nicht). dann wirds gespräch immer noch komischer und er schmeisst mich mitten in gang-land raus, verflucht mich, freut sich üder die gefahr, der er mich aussetzt, ein kranker typ in fake uniform und fake official car, ich musste dann noch im dunklen über die autobahn mit den schuss-schutzwänden auf die andere seite vom mississippi laufen. hitchwiki hat illinois und nebenan immer noch als schwieriges gelände und strafbar ists in illinois wohl immer noch, je nachdem wo/wie. also schon immer auch checken was geht und aufs gefühl verlassen. grundsätzlich ist weiss und deutsch günstig weil harmlos. ja, ansonsten war immer alles sehr ok beim trampen aber ich hatte auch "stramme waden" (s. danobaja oben) und bin kommunikativ kompetenter als es hier oft den anschein haben mag.

edit: die trail angels sind deshalb gut, weil sie in abgelegeneren gegenden einen ganz wesentlichen dauerhaften, ehrenamtlichen support für hikers bilden (und "safe", weil community controlled, s. fb-gruppen usw.)

Bearbeitet von hans im glueck
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Flagstaff – Pine (124 Meilen~200km)

Nach der sehr ereignisreichen ersten Nacht in Flagstaff verlief der darauffolgende Tag überraschend geschmeidig. Ich nahm die langersehnte Dusche, wusch meine Kleidung und unternahm einen Resupply bei Walmart, um meinen Cliffbar-Vorrat aufzustocken. Der gekaufte Proviant wurde unter den Blicken der Locals in einem Einkaufswagen sortiert, aus den unhandlichen Packungen befreit und zu guter Letzt in Ziplocs abgepackt. Danach ging es noch zum Post-Office, um jeweils ein Paket nach Pine und Lake Roosevelt zu schicken. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Jennifer und ihrer Familie.

Nachdem ich mich am nächsten Morgen von der Familie verabschiedete hatte, fuhr mich Jennifers Ehemann Kelly zurück zum Trail. Mein Rucksack war randvoll, denn der kommende Stretch nach Pine würde mit fast 200 Kilometern der längste des gesamten Trips werden. Nachdem Kelly mich am Highway abgesetzt hatte, ging es zunächst aus der Stadt raus. Ich wanderte durch kleine Waldstücke und überquerte dabei gelegentlich einige Landstraßen in der warmen Mittagssonne. Nach einem kleinen Anstieg offenbarte sich ein atemberaubender Blick auf die umgebende Landschaft. Die San Francisco Peaks waren nun von der anderen Seite sichtbar und im Süden taten sich die Weiten des Cococino Forrests auf. Nach der wunderbaren Vista ging es wieder bergab Richtung Sandy’s Canyon, einem beliebten Ausflugsziel für Tagestouristen. Ich wanderte noch einige Stunden bis zum Sonnenuntergang weiter um mein Lager in der Nähe einer Viehweide aufzuschlagen.

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Ich hatte kaum ein Auge zugetan, da die Kühe in der Nacht sehr aktiv waren und dabei sehr nah an mein Zelt kamen. Trotz der fehlenden Stunden Schlaf war ich am nächsten Morgen dennoch euphorisiert, als ich erfuhr, dass sich nur wenige Meilen entfernt ein vielversprechendes Cache befand, das Bier enthalten sollte. Als ich die Truhe öffnete, machte sich bei mir jedoch Enttäuschung breit, da mir bereits jemand anderes zuvorgekommen war. Dann gibt es heute halt nur braunes Kuhwasser :) Unter den argwöhnischen Blicken zahlreicher Viehherden schlenderte ich weiter Richtung Süden bis ich einige Stunden später auf Hot Sauce & Co traf. Nachdem wir wieder vereint waren, wanderten wir den Rest des heutigen und morgigen Tages gemeinsam. Es ging ausschließlich auf flachen Pfaden durch Kiefernwälder. Ausblicke sucht man auf diesem Teil des Trails vergeblich.

Der vierte Tag verlief alles andere als geplant. Ich verließ im Morgengrauen als erster das Camp und hatte um 10 Uhr schon 15 Kilometer hinter mir gelassen, als ich plötzlich auf ein Schild traf, das mich darüber informierte, dass der Trail aufgrund von Wildfires vorübergehend gesperrt war. Anbei waren zahlreiche Kopien einer Karte, die die Alternativroute aufzeigte. Allerdings enthielt die Map weder Angaben über die Entfernung noch über potentielle Wasserquellen. Ich musste über zahlreiche Dirtroads navigieren und nutzte googlemaps, um die Distanz abzuschätzen. Nach 20 Kilometern erreichte ich schließlich eine Tankstelle, die wie gerufen kam, da ich kein Wasser mehr hatte. Als ich nach einer genüsslichen Mittagspause vor der Tankstelle genug vom Benzingeruch hatte, ging es weiter in ein angrenzendes Waldstück. Ich folgte einer Forrestroad bis ich am späten Abend einen geeigneten Zeltplatz fand. Der Wald schien friedlich, jedoch begannen die Wapitis mitten in der Nacht damit ihre Brunftrufe auszustoßen, die durch das gesamte Areal schallten. Das sogenannte „Bugling“, das sich anhört wie der hochgepitchte Schrei einer Frau, ist wohl eines der Geräusche, die man nachts alleine im Wald nicht unbedingt hören möchte.

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Am fünften Tag musste ich noch weitere 15 Kilometer auf einer Forrest Road hinter mich bringen bis ich nach zirka 50km Umleitung endlich wieder auf dem offiziellen Trail stand. Im Anschluss ging es endlich aus dem Cococino Forrest raus und auf den Highline Trail, der entlang des Mogollon Rims verläuft. Der neue Abschnitt ließ weitreichende Blicke in den Süden des Landes zu und war eine willkommene Abwechslung nach den letzten Tagen im Green Tunnel. Als die Sonne begann sich allmählich dem westlichen Horizont zu nähern, konnte ich bereits die Umrisse der Stadt Pine ausmachen. Der Gedanke an einen Burger und Bier ließ mich meine letzten Kraftreserven freisetzen. Ich huschte grazil über die letzten Meilen Trail bis dieser eine Landstraße kreuzte, die direkt in den Ort hineinführte.

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In Pine steuerte ich direkt die Brauerei an, die sowas wie das lokale Headquarter der AZT-Thruhiker ist. Dort konnte ich eins meiner Resupply-Pakete entgegennehmen und mir wurde direkt angeboten auf dem Volleyballfeld im Garten der Brauerei zu zelten. Zunächst genehmigte ich mir aber einen üppigen Burger und genoss ein eiskaltes Arizona-Trail-Ale. Als ich mein Essen verputzt hatte, betraten auf einmal Hot Sauce & Co den Laden. Sie hatten einen Teil des Trails aufgrund des Feuers übersprungen und waren einfach direkt nach Pine gehitched. Wir ließen den Abend gemeinsam ausklingen und sprachen mit einigen der anderen Gäste. Unter ihnen waren zufälligerweise sogar ehemalige Thruhiker, die den Trail bereits in den frühen 2000er gelaufen waren. Eine etwas ältere Dame am Tisch neben uns musterte uns ein wenig, bevor sie an unseren Tisch rüberkam. Sie bot uns aus dem Nichts heraus an bei ihr zu übernachten, da wir einen guten Eindruck machten und sie uns etwas Gutes tun wollte. Wir waren völlig überrascht von dieser Einladung und sagten nach einer kurzen Bedenkzeit zu. Tammy, so hieß die gute Frau, nahm uns in ihrem roten Pick-Up Truck mit zu ihrem Haus, wo eine warme Dusche und ein Bett für jeden von uns wartete.

 

the trail provides once again

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Pine – Lake Roosevelt Marina (~185km)

Nach einem ausgiebigen Zero Day in Payson, der Nachbarstadt von Pine, ging es weiter in Richtung Lake Roosevelt, dem größten See Arizonas. Dieser Abschnitt des Trails war dafür berüchtigt sehr wild, steinig und abgeschottet zu sein. Ich hatte mir vorgenommen die ganze Etappe in fünf Tagen zu bewältigen, um es noch am Samstag nach Superior zu schaffen, wo ein neues Paar Schuhe im lokalen Post Office auf mich warten würde. Homeless Guy schloss sich mir an, da sein Urlaub nur begrenzt war und er deshalb seine tägliche Distanz hochschrauben wollte, um noch möglichst viel vom Trail zu sehen. Gemeinsam mit Hot Sauce starteten wir am Vormittag am Pine Trailhead und ließen die Kleinstadt hinter uns. Wir wanderten zunächst entlang von Strommasten und genossen das wunderschöne Panorama, das sich vor uns auftat. Nach dem Betreten der Matzatal Wilderness verschlechterte sich der Zustand des Trails erheblich und wir hatten teilweise Schwierigkeiten den richtigen Weg zu finden. Der Boden bestand lediglich aus losem Geröll, welches schnelles Vorankommen unmöglich machte, da man ständig Angst hatte umzuknicken. Des Weiteren machten die unzähligen Dornenbüsche entlang des Pfads unseren Armen und Beinen zu schaffen und hinterließen blutige Kratzer auf unserer braungebrannten Haut. Aufgrund meiner langen Hose kam ich im Vergleich zu den anderen dabei noch glimpflich davon. Am Abend schlugen wir gemeinsam unser Lager in der Nähe einer Quelle auf und genossen das orange-lilane Nachglühen des Sonnenuntergangs, das am Firmament loderte, während die zahlreichen Hügel in der Peripherie allmählich in der Dunkelheit verschwanden.

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Am nächsten Tag überquerten wir am frühen Morgen den East River Verde, den ersten Fluss seit unserem Aufenthalt im Grand Canyon. Das River-Crossing stellte sich einige Minuten später als völlig unnötig heraus, da sich nur wenige hundert Meter flussabwärts eine natürliche Brücke befand. Bei der Hitze, die an diesem Tag herrschte, war das kalte Wasser jedoch eine willkommene Abkühlung gewesen. Wir füllten unsere Mägen literweise mit frischem Flusswasser und dösten eine Weile auf dem warmen Sand des Flussbetts vor uns hin, bevor Homeless Guy und ich uns auf den Weg machten, um den ersten mächtigen Anstieg dieser Etappe in Angriff zu nehmen. Hot Sauce entschied sich hingegen dafür, noch etwas länger dort zu verweilen.

Die 1000 Höhenmeter, die wir in der gleißenden Sonne bewältigen mussten, waren mühsam und nur mit einigen Pausen zu bewältigen. Nach dem wir den Berg bezwungen hatten, machte sich Erleichterung bei uns breit und wir stiegen im Licht der untergehenden Sonne noch bis zu einem geeigneten Campspot ab. Als wir dort ankamen, waren wir jedoch nicht allein. Wir trafen auf eine Trail-Crew, die mit der Instandhaltung der dortigen Wege beauftragt worden war und dort ihr Basislager aufgeschlagen hatte. Wie sich im Laufe des Gesprächs mit ihnen herausstellte, hatten sie viel zu viel Essen dabei und waren froh, etwas an uns abzutreten. Wir verputzen unmenschliche Mengen an Mac and Cheese, Eintopf und Früchten, bevor wir uns schlafen legten.

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Der dritte Tag war wiederum geprägt von Hitze und ständigen An- und Abstiegen durch steiniges Gelände. Die Sohlen unsere Füße waren durch das Terrain mittlerweile so in Mitleidenschaft gezogen wurden, sodass die ersten Schritte am Morgen, dem Laufen auf glühenden Kohlen gleichkamen. Homeless Guy und ich kämpften uns von einer Wasserquelle zur nächsten, in der Hoffnung ein schattiges Plätzchen auffinden zu können. Dabei verlief der Trail vermehrt durch Auswaschungen, die aufgrund ihrer Lage wie ein natürlicher Backofen fungierten. Nach 27 Meilen endete der Tag für uns beide und wir schlugen unsere Zelte völlig erschöpft direkt neben einer Dirtroad auf, die den Trail kreuzte.

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Am Folgetag verlief der Trail unter einer Interstate entlang, die in Richtung Westen nach Phoenix führte. Homeless Guy und ich ruhten uns im Schatten des Tunnels aus. Ihn hatten die letzten Tage sichtlich mitgenommen und aufgrund des Zeitdrucks, der ihm im Nacken stand, entschied er sich dafür nach Phoenix zu hitchen, um seinen Rückflug zu buchen. Nachdem wir uns voneinander verabschiedeten, kletterte er über das Geländer auf die Interstate und streckte seinen Daumen raus. Ich verließ währenddessen die kühle Geborgenheit des Tunnels und begab mich erneut in die erbarmungslose Mittagshitze. Ich quälte mich an diesem Tag wieder auf einen der unzähligen Berge, die das Landschaftsbild prägten. Die Four Peaks, ein Gebirgszug, der aufgrund seiner markanten vier Gipfel diesen Namen trägt, dominierte dabei mein Sichtfeld. Als ich am Ende des Tages auf einer Dirtroad entlanglief, hielt eine Frau in ihrem Geländewagen direkt neben mir an und überhäufte mich mit Süßigkeiten und Wasser. Kurze Zeit später fand ich ein wunderschönes Plätzchen, von dem man einen atemberaubenden Blick auf den Lake Roosevelt hatte.

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Der letzte Tag auf diesem Abschnitt begann mit einem absoluten Highlight: Ich kletterte auf eine kleine Erhöhung in der Nähe meines Lagers und betrachtete die aufgehende Sonne, die direkt hinter dem See emporstieg. Danach begann der mühsame Abstieg in das Tal, der durch umgemähte Bäume, die nun auf dem Trail lagen, zusätzlich erschwert wurde. Als ich das Gebirge verlassen hatte und dem See immer näherkam, verwandelte sich die Landschaft allmählich in das stereotypische Arizona, das man von Bildern kennt: Riesige Saguaro-Kakteen türmten sich vor mir auf während ich durch den roten Wüstensand schritt. Hier unten war es deutlich heißer als an den Tagen zuvor und mein Wasserverbrauch stieg rasant an. Als ich an einigen Yucca-Palmen vorbeikam, und fast die Landstraße erreicht hatte, die über eine Brücke zur Lake Roosevelt Marina führte, bewegte sich plötzlich eine Schlange über den Trail. Ich blieb stehen und musterte sie zunächst und stellte fest, dass es sich um keine giftige Klapperschlange hielt (Es war eine Gopher-Snake, wie ich später erfuhr). Nach einiger Zeit bewegte sich das Tier und kroch wieder weiter in Richtung Gebüsch. Nur noch eine Meile Roadwalk trennte mich von eiskalten Getränken, Strom und fettigem Essen, doch der Trail hatte etwas anderes mit mir vor. Nachdem ich die Brücke überquert hatte, führte der Weg wieder zurück in den Busch und ließ mich dabei eine unnötig steile, zusätzliche Passage in der gleißenden Mittagssonne bewältigen, auf der ich mir das mehrmalige verbale Ausstoßen von Fäkalwörtern nicht verkneifen könnte. Wäre ich doch bloß auf der Straße geblieben. Nach dreißig Minuten war die Tortur vorbei und ich stand vor den heiligen Hallen der Roosevelt Lake Marina, eine Oase für Thruhiker des AZT, die neben einem Restaurant auch einen kleinen Shop beherbergte. Als ich das Restaurant betrat, kam mir direkt die herrlich kühle Luft der Klimaanlage entgegen und der Geruch vom gebratenen Fett lag im Raum. Nachdem ich meine Essengelüste befriedigt hatte, machte ich es mir  auf der Veranda bequem und ließ meinen Blick über den mattblauen See schweifen. 

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Bearbeitet von Jäger
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