Zum Inhalt springen
Ultraleicht Trekking

Rigi 2021


Mars

Empfohlene Beiträge

Die Rigi wird als Königin der Berge vermarktet. Die fünf Seilbahnen in der Umgebung werden von zwei Eisenbahnen, fast bis zum Gipfel hinauf, ergänzt. Mitglieder dieses Forums übernachten schon mal mit einem Tarp dort oben. Von meiner Haustüre im beschaulichen Zürich bis da hinauf sind es 65 km. Im letzten Jahr ging ich auch ein paar Mal die Route via Aegerital und über den Wildspitz. Doch dann begann ich 100 % zu arbeiten, was mir nun mal sehr schlecht bekommt. Je mehr ich arbeite, desto weniger Zeit bleibt zum Trainieren. Im 2018 konnte ich mehrere Marathonstrecken in der Woche rennen, gearbeitet hatte ich aber gar nix. Zumindest das materielle Leben ist Ebbe und Flut aus Ausgaben und Einnahmen (respektive in meinem Fall eher umgekehrt). 

Wie auch immer, logischerweise will ich auch in diesem Jahr die Strecke von meiner Haustüre auf die Rigi schaffen. Ich benötigte mehr Versuche als es mir irgendwie lieb sein konnte. 

Versuch 1 endete in Zug, um 18 Uhr, die Züge fahren nicht die ganze Nacht zurück nach Zürich. Von Zug nach Arth sind es aber auch ein paar Stunden.

Versuch 2 endete wieder in Zug, nachdem ich auf der Suche nach einer schöneren Route zu lange herum geirrt war und mir die Hitze auf den Teerstrassen langsam zu Kreuze kroch.

Versuch 3 endete ebenfalls in Zug, diesmal mit Schmerzen im Fuss, die mich leider an eine Fraktur erinnerten. Eine Stressfraktur wäre mir zwar peinlich, läge aber durchaus im Bereich des möglichen.

Versuch 4 endete schon auf der Albiskette, keine 5 km von meiner Türe entfernt. Der Abstieg nach Leimbach war jetzt nicht so die glorioseste Erfahrung meiner Wanderkarriere und ich vertraue darauf, dass mein Hirn diese Erfahrung hoffentlich bald verdrängt haben wird. 

Danach ging ich zum ersten Mal in über 20 Jahren aus eigenem Antrieb zu einer Ärztin. Ihre Gemeinschaftspraxis wirbt mit dem Wort “Sport” angeblich machen sie Leistungsdiagnostik. 

Auf dem Eintrittsformular gab es sogar Kästchen zum Ankreuzen, damit sollte das Bekanntgeben des persönlichen Sportlevels erleichtert werden. Das höchste Level war “Olympiateilnehmend”. Leider hatte meine Ärztin trotzdem keine Ahnung von Sport. Ich denke, sie dachte, jemand wolle ihr einen Bären aufbinden, als ich ihr sagte, ich wanderte gerne längere Strecken. Sie schaute mich jedenfalls an, als würde sie mir kein Wort glauben. Sie bat mich sehr, die Physiotherapie zu besuchen, dies gäbe es hier im Haus. Einlagen solle ich mir auch machen lassen, ebenfalls im Haus. Ob ich zusatzversichert wäre, sie würden auch Stosswellentherapie anbieten, dies wäre dann durch die Krankenkasse abgedeckt. 

Auf meine höfliche Frage hin, wie lange ich denn nun Pause machen solle, sagte sie, dies könne der Physiotherapeut beurteilen, meine Muskeln seien das Problem, gebrochen sei nix, aber ich könne die Schmerzen im Fuss kaum alleine in den Griff kriegen, es sei offensichtlich, dass ich keine Ahnung von Stretching hätte. An meiner Haltung zu arbeiten, könne ich in meinem Alter vergessen. Ich bedankte mich fast ein wenig überschwänglich für ihre überragend tollen Ratschläge. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, sie nicht zu fragen, ob sie sich selber schon einmal sportlich betätigt hätte. 

Jedenfalls denke ich immer noch, dass es zielführender ist, meine Muskeln selber aufzubauen, als mit irgendwelchen Stützen meine km-Umfänge zu versuchen. Immerhin besitzen wir hier einen echten Tennisball, den kann man unter die Fusssohle klemmen und rollen. Der Korkball von Pa’lante ist bestellt. 

Mein Mitbewohner fand gleichentags einen funktionierende Hometrainer direkt vor dem Haus auf der Strasse. Den schnappten wir uns, dadurch konnte ich während meiner Wanderpause von 10 Tagen trotzdem trainieren. Dann stand der erste Test an: Die Marathonstrecke um Zürich. Wie immer im Mittelland der Schweiz über den weltbesten Asphalt, frisch gewalzte und dadurch wunderbar komprimierte Waldstrassen sowie allerlei Betonkonstruktionen.

Meine Füsse hielten wunderbar. Dies beruhigte mich ungemein. Das Jahr ist immer noch nicht gelaufen, mit etwas Glück kann ich im Spätsommer sogar etwas längeres in Angriff nehmen. Unter anderem dank Moderna Biotech Spain S.L. und unseren hervorragenden Spezialisten. Es dauert halt alles immer ein paar Monate länger, doch dann klappt es eigentlich ganz gut. Ausserdem werden die Milliardenzahlungen, die Moderna in der EU einnimmt, offenbar in der Schweiz versteuert. So ist es recht. 

Und dann war es auch schon wieder soweit: Der nächste Rigi Begehungsversuch wurde unter die Füsse genommen. Durch so pittoreske Weiler wie Hausen am Albis, der Lorze entlang an den Zugersee. Statt Zigarettenstummel die Mundstücke von Davidoff-Zigarren. Bei einem Haus stand die Türe offen, im Innern eine überlebensgrosse Alien-Skulptur, unverkennbar von H.R. Giger. Künstlerisch durchaus sehr anspruchsvoll, sorgt aber nicht gerade für eine geringe Kaufgebühr, irgendwas muss man ja in sein Wohnzimmer stellen, in der Stadt Zug wird Ikea weniger geschätzt. 

Ich war wirklich ein wenig nervös wegen meinen Füssen. Nach einem längeren Roadwalk auf einer schmalen Strasse treffe ich in Arth ein, es ist 18 Uhr. Dunkle Wolken hängen über der Rigi, im See baden junge Damen und Herren, offensichtlich nicht zum ersten Mal, denn alle sehen gesund und kräftig aus. Meine Füsse und Beine fühlen sich ebenfalls nach 55 km noch frisch genug an. Arth liegt auf 421 m, die Rigi ist 1797 m hoch. Ich kenne den Weg von früheren Begehungen. 

Es hat deutlich weniger Kühe als vor einem Jahr, aber ich muss trotzdem mitten durch eine Herde. Dies gefällt den Kühen nicht, alle laufen mir hinterher. Dies gefällt wiederum mir nicht, der Zaun ist schnell überwunden. Das Wetter wurde wieder besser, jedenfalls bis ca 3 km unter den Gipfel. Dann verschwand alles im dicksten Nebel, den ich jemals in den Bergen gesehen habe. Ich befand mich auf einer Strasse, es bestand keine Absturzgefahr.

Im Nebel sehe ich aber mit der Stirnlampe gar nichts. Es gibt Techniken, um auch im Nebel etwas zu sehen, aber ich vertraute lieber der hellen Strasse. Auf einem wilderen Gipfel käme man jetzt weder vorwärts noch zurück. In meiner weisen Voraussicht habe ich weder Zelt noch Powerbank eingepackt, der Akku meines Smartphones macht es auch nicht mehr lange. Was kann schon schiefgehen. Immerhin habe ich Regenausrüstung und eine warme Jacke dabei. Damit stundenlang herumzusitzen könnte dennoch problematisch werden.

Es gibt hier oben jede Menge Tourismus-Infrastruktur, jene ganz zuoberst ist jedoch wegen zu geschlossen. Ich taste mich der Strasse entlang nach unten. Es blitzt hin und wieder, jedoch eher ein Wetterleuchten. Normalerweise würde die Zeit reichen, um nach unten zu joggen und in Arth-Goldau mit einem fetten Bier in der Hand in den Zug zu steigen. Joggen wäre genau das richtige für die letzten 10 km, nur sehe ich kaum die Strasse unter mir. Es wäre jetzt einfach zu gefährlich. Deshalb steige ich in Richtung Kaltbad ab, ich erwische sogar einen Zug in Richtung Vitznau, abends gegen 23 Uhr. Laut Fahrplan schaffe ich es aber nicht mehr nach Zürich. Ich checke in einer Touristenfalle ein, 110 Franken muss ich als Vergissmeinnicht-Gebühr für meine geliebten Dyneema-Erzeugnisse abschreiben. Von jetzt an nie mehr ohne. 

Während ich den Schlaf des Gerechten schlafe, geht in Zürich ein Unwetter nieder, ich bin heilfroh, rechtzeitig von der Rigi herunter gekommen zu sein. Mittlerweile herrscht fast überall in der Schweiz Hochwassergefahr, der Schadenspegel wurde überschritten und in Luzern rechnet man mit einem Jahrhunderthochwasser.

Ich benötige ziemlich dringend neue Asphalt-Schuhe. 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Deine Meinung

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Benutzerkonto hast, melde Dich bitte an, um mit Deinem Konto zu schreiben.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...