Zum Inhalt springen
Ultraleicht Trekking

Grenzgebiet im Tessin


Mars

Empfohlene Beiträge

Nach dem Schweizer Forumstreffen kann ich natürlich nicht ein Jahr lang zu Hause rumsitzen. Also fahre ich nach Bellinzona im Tessin. Eigentlich wollte ich nach Airolo, aber dafür hätte ich fast eine Stunde lang auf den nächsten Zug warten müssen. Wer will das schon. Zugfahren in der Schweiz ist schön. Nimmt man nicht die Pendlerzüge, verkehren die Züge sogar pünktlich, wobei mir dies herzlich egal ist, ich muss nirgendwo irgendwann sein. Ich will auch die Pendler nicht belästigen, deshalb fahre ich mitten am Nachmittag. Kurz vor drei bin ich da. Ein fleissiger Bahnmitarbeiter putzt gerade eine Schmiererei weg und schon bin ich aus Bellinzona raus. Mein erstes Ziel: Die Ceresiohütte auf 1773 Meter. Bellinzona liegt dummerweise nur auf 241 Meter.

Die Steigung ist dennoch sehr moderat. Der Weg besteht aus einer alten Strasse mit wunderschönen Steinarbeiten. Vor der Erfindung von Asphalt wurden die Strassen mit Naturstein gepflastert. Heutzutage sind solche Strassen fast nicht mehr kommerziell in Stand zu halten und sie verlottern deshalb immer mehr. Jedoch wurden zum Bau teilweise massive Steine verwendet, diese halten wohl über Jahrhunderte. Es ist Kastaniensaison, die stachligen Kastanienschalen liegen überall herum und fallen auch von den Bäumen. Hinfallen wäre jetzt dümmer.

Bald schon erreiche ich eine Alp. Zunächst fällt mir nur der Zaun auf, weit und breit ist kein Vieh sichtbar. Der Boden ist jedoch gefroren. Ich schaue gewohnheitsmässig in den Wald neben der Weide - huch, da ist was: Ein ausgewachsenes Schottisches Hochlandrind. Wahrscheinlich der Bulle. Er steht wie versteinert da, nach seinem anstrengenden Tagwerk erholt er sich wohl abseits seiner Herde. Die Herde befindet sich gute 50 m weiter. Wie üblich quer über den Wanderweg verstreut. Die kleinen Kälber sehen niedlich aus, jedoch sind ihre Mütter in der Nähe. Ich muss dennoch nahe an der Kälbern vorbei, eine Mutterkuh muht mich an. Die Alp war im ersten Weltkrieg eine Stellung der Schweizer Armee, der Schützengraben ist immer noch erhalten, samt der Nischen für die Munition.

Einer modernen Strasse entlang geht es zur nächsten Alp. Wildschweine haben mehrere Weiden komplett umgegraben. Ein Schild sagt warum: Bandita di caccia, Jagdverbot. Ich habe keine Ahnung von Alpwirtschaft, vielleicht erholt sich die Wiese über den Winter, momentan gibt es aber für Weidevieh gar nichts mehr zu fressen. An der Hütte marschiere ich vorbei, ohne mit der Wimper zu zucken. Es wird aber Zeit einen Schlafplatz zu suchen. Vorzugsweise ausserhalb des Sichtbereichs einer Alp. Ich wandere weiter der Strasse entlang, die plötzlich in einem Tunnel mündet. Eine Inschrift über dem Tunneleingang verrät den Sinn des Tunnels: 1941, die Armee wollte diese Alpen im Kriegsfall schnell erreichen können. Leider weiss ich nicht, ob die Häuser in der Nähe bewohnt sind und wandere noch ein wenig weiter. Die Landschaft ist spektakulär. Schöner ist es auf dem PCT auch nicht, leider ist der Abschnitt hier bis hierhin noch keinen km lang.

IMG_1544.thumb.png.aa87273ed1737b7942d3510590d07cee.png

Schliesslich finde ich eine erhöhte Ebene auf 1800 m. Ob das gut kommt? Ich habe die Neo Air eingepackt statt der XTherm und den 20 F Quilt. Die Temperaturen sollen ungefähr auf den Gefrierpunkt fallen. Also los, Zelt aufgestellt, ins Patagucci Capilene Air Pyjama gesprungen und siehe da: Die ganze Nacht habe ich fast zu warm. Die Neo Air gerät jedoch an die Grenze. Wenn ich auf der Seite liege, kühlt sie wohl zu fest ab. Am nächsten Morgen ist der Boden von einer Reifschicht bedeckt, das Zelt ist aber trocken, in der Nacht war es klar. Nun rasch wieder alles zusammengepackt, ich bin nicht 100 % sicher, dass ich hier überhaupt übernachten darf (Kühe dürfen aber weiden).

IMG_1581.thumb.png.8c01d3d200443ea9ecbcffb69031e56a.png

Weiter geht es in der Landschaft mit PCT Qualität. Die Tourismusförderung hat mir offenbar fürs erste eine Gams zugewiesen: Geduldig posiert das Tier minutenlang auf einem Hügel vor dem Weg. Schliesslich überquere ich ein Krete und befinde mich wieder auf derselben Seite des Berges, auf der ich gestern herkam. Die Tourismusförderung hat nun Hirsche als Kundenbindungsmassnahme aufgeboten. Ich sehe ein Gruppe tief unter mir. Ein Bulle mit Familie. Kaum gehe ich weiter, erscheint schon die nächste Gruppe. Sie bewegen sich schnell und ziehen zur anderen Gruppe. Leider war es das dann aber auch schon mit der PCT Umgebung. Kaum überschreite ich die Grenze zu Italien, wird alles kahl. Wald gibt es schon, aber nur weiter unten.

Ein Blick auf meine Karte (nun mapy.cz wie am Treffen besprochen) offenbart ein Problem. Gehe ich weiter in diese Richtung, lande ich am Comer See. Dahin will ich aber nicht. Also folge ich einer Strasse bis zur nächsten Hütte. Dort gibt es ein Schild für Partisanen und das Ende des 2. Weltkrieges. Hier in Italien war dies in den letzten zwei Kriegsjahren ein Bürgerkrieg. Ich gehe um die Hütte herum und finde eine Gedenktafel. Die Abteilung Gramsci traf hier im April 1945 auf Soldaten des faschistischen Italien. Drei Partisanen fielen im Gefecht, ein Vierter, Primo “Falco” Mafiolli wurde gefangen genommen und später im Dorf ermordet. Die Abteilung Gramsci gehörte zur Garibaldi Brigade, die 52igste war nach ihrem Gründer Luigi Clerici benannt. Unten im Dorf gibt es ein Museum zu dieser Zeit. In Dogo wurde auch ein gewisser Herr Mussolini zum letzten Mal festgenommen.

Ich bin gerade ziemlich froh, leben wir in friedlichen Zeiten. Die Grenze hier ist unbewacht, dies war aber nicht immer so. Die italienische “Guardia di Finanza” unterhielt hier oben eine ständige Präsenz, da je nach Zeit mehr oder weniger geschmuggelt wurde. Später komme ich an einem Gedenkstein aus dem Jahre 1890 für einen Beamten der Guardia di Finanza vorbei. Das Gelände ist gerade ziemlich offen, kein einziger Baum spendet Schatten. In Italien muss der Jagddruck auf die Hirsche kleiner sein als in der Schweiz. Ich sehe ein ganzes Rudel unterhalb der Strasse, die Bullen röhren vergnügt vor sich hin.

Bald wird der Weg wieder steiler. Bei der Boccetta di Sommafiume kehre ich in die Schweiz zurück. Eine Abzweigung ist ein wenig unklar, ich nehme einen Weg nach unten. Zunächst denke ich, eine Schafherde kommt mir entgegen, doch es sind zwei Hunde mit Glocken. Gefolgt von drei bewaffneten Männern. Nichts wie weg hier, die Hunde scheinen mir nicht sympathisch. So wie sich die Herren bewegen, können sie auch noch nicht besonders viel Wild gesehen, geschweige denn geschossen haben. Ihre Hunde rennen ins Gebüsch, die Herren nehmen ihre Gewehre in Anschlag. Dummerweise kommt grad gar nichts aus dem Gebüsch heraus. Keine 100 Meter von dieser Jagdgesellschaft entfernt sehe ich eine ganze Gamsfamilie. Sie liegen einfach ziemlich weit oben und ich hoffe in Italien.

IMG_1627.thumb.png.f548bf11817e7367aa4c9bef55b6de6d.png

Über den Weg links kam die Jagdgesellschaft, die Gämsen haben es sich rechts auf dem Gipfel bequem gemacht.

Ich nehme nun den Pfad in Richtung Monte Bar. Es gibt nur ein Problem: Der Pfad ist das reinste Absturz-Bingo. Schmal, über Felsen, stellenweise extrem steil, ich muss mich wirklich festhalten. Der Weg ist eigentlich nicht markiert. Ein Idiot hat ein Felsmännchen gebaut, das aber auf der falschen Seite eines Hügels steht. Bei Nebel ist dies wirklich gefährlich. Rasch räume ich das Teil ab. Ich wüsste nicht wie ich diesen Weg bei Nebel oder Regen meistern soll. Ein Forist möchte offenbar nächstes Jahr die Schweiz umrunden, ich hoffe, er erwischt gutes Wetter hier. Oder er geht gleich dem Comer See entlang und geniesst die Italianita dort unten.

IMG_1652.thumb.png.4ae87a0e325b5e13b6445b40a00b5408.png

Schliesslich gelange ich auf einen Gipfel, es ist der Monte Gazzirola. Nun ist es 17 Uhr, ich könnte auf den Monte Bar weiterwandern oder halt hinunter nach Colla. Es gibt noch ein weiteres Problem: Nebel oder Wolken wehen aus der Richtung von Lugano hier hinauf. Ich kenne den Weg aus der Richtung des Monte Bar, er ist nicht mehr gefährlich aber halt ziemlich exponiert. Also runter zur nächsten Alp. Die Strasse wurde mit viel Beton ausgebaut, schön ist anders. Im letzten Tageslicht treffe ich in Colla ein, 3.5 Stunden später komme ich wieder in Zürich an. 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Deine Meinung

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Benutzerkonto hast, melde Dich bitte an, um mit Deinem Konto zu schreiben.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

Forumssponsoren









×
×
  • Neu erstellen...