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Ultraleicht Trekking

"A mixed bag": Der GR-221 durch Mallorcas Serra Tramuntana


Gast

Empfohlene Beiträge

Ich bin den GR-221 über Mallorcas Serra Tramuntana soeben im April (18. bis 25.) von Port Andratx bis Pollenca in einem Stück durch gelaufen. Zwar habe ich hier im Forum vorher viele Einzelinformationen und Kurzberichte zu diesem mit ca. 150 Kilometern kleinen Fernwanderweg gefunden, aber noch keinen längeren durchgehenden Tourenbericht.

 

Ich will deshalb hier meine Erlebnisse und Erfahrungen in einem eigenen Thread mit jeweils einem Posting pro Etappentag festhalten und dann ein kurzes Abschlussstück darüber schreiben, wie es mir mit meiner Ausrüstung (4,9 kg Packgewicht ohne Trinken und Essen) auf diesem Weg ergangen ist.

 

Ich war alleine unterwegs und habe den Weg in acht Tagen gemacht, inklusive der zusätzlichen Extra-Gipfeltouren über den Mola de s'Esclop, den Puig de Massanella und den Puig de Tomir sowie der Genussstrecke auf dem "Piratenweg" zwischen Deia und Port de Soller. Man kann das alles zur Not auch in sieben Tagen schaffen, aber dann entfällt die erste Übernachtung auf den Terrassen des ehemaligen Klosters La Trapa - eine wunderbare Nacht hoch über dem Meer, die ich nicht missen möchte.

 

Ich liefere hier keine Tourenbeschreibung, mit der man sich auf diesem Weg orientieren oder ihn überhaupt finden könnte. Dazu verweise ich auf die Karte 1:50.000  von map.solutions zum GR-221, wo der Weg auch im eingedruckten Text gut beschrieben wird. Weitere brauchbare Tourenbeschreibungen kann man sich auf den sehr informativen Seiten alpenquerung.info oder mallorca-erleben.de zusammenkopieren.

 

Einen guten Überblick bietet auch die Mallorca Wanderkarten Süd und Nord 1: 35.000 von map.solutions. An einigen Stellen haben mir aber auch diese Karten nicht ausgereicht, um den richtigen Weg zu finden. Ich bin zum ersten Mal mit einem GPS-Track auf meinem Smartphone gelaufen (Download Track, genutzt mit der kostenlosen App Locus Maps für Android) - und diesen Track hatte ich an einigen Stellen auch bitter nötig.

 

Der GR-221 ist ja eher eine Idee als ein richtiger Weg, sozusagen gewollt und nicht gekonnt. Von Port Andratx bis Deia ist er nur auf kurzen Stücken überhaupt als Wanderweg markiert.  Und auch ab Deia tauchen immer neue Lücken auf, sei es, weil Finca-Besitzer ihr Terrain mit Stacheldraht für den Durchgang sperren, sei es, weil eine Naturschutzinitiative sich Sorgen um den Bestand der Geier macht und den Durchgang durch ein bestimmtes Tal plötzlich nur noch mit besonderer Erlaubnis zulässt.

 

Generell rate ich, den GR 221 nicht zu unterschätzen. Von der Wanderautobahn für Schulklassen und Rentner über die nackte Asphaltstraße bis hin zu knackigen Kletterstellen am Fels und völlig weglosem, zugewachsenem Gelände ist diese Tour anforderungsmäßig das, was man im Englischen eine "mixed bag" nennt. Eine bunt gemischte Tüte.

 

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Bearbeitet von Gast
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Ich bin gespannt auf den Bericht, fliege ich doch in 2 Wochen auch hin. :)

Wie schon woanders angemerkt, bin ich besonders interessiert an ".. bis hin zu knackigen Kletterstellen am Fels und völlig weglosem, zugewachsenem Gelände... " und da insb. ersterem, um im Vorraus schon evt. Umwege auskundschaften zu können. Aufgrund von Höhenangst habe ich nämlich keine Lust auf absturzgefährliches Klettern auf Solotouren...

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Einfach gut ankommen - Die Anreise nach Port Andratx

 

Mallorca ist in vielerlei Hinsicht sehr deutsch. Das öffentliche Nahverkehrsnetz könnte auch zum Verkehrsverbund Rhein-Main gehören, so wohl geordnet ist das hier. So klappt die Anreise dann auch wie am Schnürchen. Aus dem Flughafengebäude gehst Du einfach gerade heraus, läufst an den Hotel-Bussen vorbei und stößt nach 100 Metern direkt auf die Haltestelle des Busses 1, der Dich in 20 Minuten für 3 Euro zur Placa Espana nach Palma bringt.

 

Dort gehst Du nach dem Aussteigen noch 50 Meter in Fahrtrichtung weiter und siehst dann rechts den großen Treppenabgang zur Estacio Intermodal, dem überregionalen Busbahnhof. Auch hier ist alles auf Digitalanzeigen präzise ausgewiesen, nicht zu verfehlen. Zwei Stockwerke tiefer steigst Du in den Bus 102 ein, der Dich für 6 Euro und in etwas mehr als einer Stunde nach Port Andratx bringt. Dort steigst Du am Hafen aus und bist damit schon mitten im Zentrum des kleinen Küstenorts.  Deine GR 221-Tour kann beginnen.

 

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Meine Tour führt mich aber erst einmal 500 Meter weiter in die Pension Catalina Vera, in der ich für die erste Nacht ein Zimmer gebucht habe. Wer am Sonntag um 18 Uhr in Port Andraxt ankommt, findet keinen offenen Supermarkt mehr. Drei Liter Wasser sollten es aber schon sein, denn ich würde frühestens am Mittag des übernächsten Tages an der Finca Ses Fontanelles wieder Trinkwasser bekommen. Dazu ein paar Nüsschen, ein Schinkensandwich  und gegen den unvermeidlichen Durchhänger eine Dose Cola.

 

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Ich werde immer im Wechsel eine Nacht draußen unterm Tarp schlafen und mir dann wieder in den kleinen Landstädtchen ein Zimmer nehmen. Das Catalina Vera ist ein wunderbarer Auftakt mit einem wuchernden tropischen Garten und geschmackvoll ausgestatteten Zimmern, eine kleine Oase zu erschwinglichen Preisen.

 

Der gut sortierte Supermarkt ist gleich eine Querstraße weiter, öffnet aber erst um 9 Uhr. Der ganz frühe Tourstart ist also nicht möglich - aber ich will an diesem ersten Tag ja auch nur nach La Trapa, dreieinhalb Wegstunden entfernt. Die Terrassen von La Trapa sind schließlich ein Muss für den Draußenschläfer - und außerdem will ich den ersten Tag zur Eingewöhnung ruhig angehen lassen.

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Rechtschreibung
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Ein Drachen und fallende Sterne - Tag 1: Port Andratx - St. Elm - La Trapa

 

Mit jetzt 8,5 Kilo geht es hinter Port Andratx die erste Anhöhe hoch, eine ausgewaschene und ausgefahrene Mountainbike-Strecke, die am Morgen vor allen von Trailrunnern genutzt wird. Hier ist die Route dank der Rotpunktmarkierungen und der Steinmännchen prima zu finden. Auf staubigen Fahrwegen führt der Weg dann recht unspektakulär bis zum Pass Vermell weiter, wo sich der erste Wow-Effekt einstellt. Ein Panoramablick auf das knallblaue Meer mit den spitzen Zacken der Insel La Dragonera und über die südlichen Hänge der Serra Tramuntana. Das sieht verheißungsvoll aus.

 

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Hinunter nach St. Elm ist es etwas unübersichtlich. Nicht weil es zu wenig, sondern viel zu viel Weg gibt. Alle 50 Meter gabelt und verästelt sich das. Überall stehen die freundlichen Steinmännchen herum - aber welches ist nun Deines? Letztendlich egal. Als ich eine Stunde später in St. Elm einlaufe, sitzen einige der Tageswanderer, die ich am Pass Vermell getroffen hatte, schon im Cafe. Andere trudeln wenig später ein, jeder offenbar auf einem etwas anderem Weg.

 

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Alle Wege führen hier nach St. Elm. Das ist dem hübschen Villen-Ort auch angemessen, der malerischer nicht liegen könnte an dieser felsigen Küste. Ein cafe con leche muss noch sein, dann ab in den Wald, auf breiten Wegen in sanfter Steigung hinein in die Serra Tramuntana. Nach einer weiteren Stunde erstmals eine leise Ahnung, dass es jetzt tatsächlich ins Gebirge geht. Eine etwa 10 Meter hohe "Kletterstelle", an der man sich dank des leichten Rucksacks mit wenigen Schritten und Griffen hoch hangeln könnte,  wenn da nicht eine Schweizer Wandergruppe in fortgeschrittenem Rentenalter einen riesigen Verkehrsstau veranstalten würde.  

 

Etwas ungläubig schaue ich zu, wie die Schweizer vorsichtig auf dem Hosenboden über die Felsen rutschen. Natürlich sind die Wanderstöcke dabei irgendwie immer im Weg und müssen über ein ausgefeiltes Staffelsystem mit lautem Hallo von Hockendem zu Hockendem weitegereicht werden, bevor das nächste Stück weiter gerutscht werden kann. Am Fuß der kleinen Felskante steht mit etwas säuerlicher Miene der deutsche Wanderführer und meint lakonisch: "Das kann jetzt ein bisschen dauern".

 

Aber irgendwann ist jedes Stückchen Fels hinreichend durch Hosenböden poliert, alle Knochen sind dabei heil geblieben - und der Weg ist frei. Dahinter der zweite Wow-Effekt des Tages: Die Insel La Dragonera ist jetzt so nah, dass sie fast das ganze Blickfeld einnimmt. Manche Orte dieser Welt müssen einfach genau so heißen, wie sie heißen. Diese Insel ragt wie der Rücken eines gewaltigen Drachens aus dem Meer, die bedrohlichen Zacken scharf abgehoben vor dem Blau des Himmels.

 

Viel zu schnell taucht dann La Trapa auf. Fünf übereinander gestaffelte Terrassen, die eine V-förmig eingeschnittene Schlucht umsäumen, darüber ein paar verfallene Gebäude. Genau da will ich heute schlafen. Zwar muss man über den landestypischen Maschendrahtzaun steigen, um zu jeder der Terrassen zu kommen, aber die Drahtbarriere ist offenbar schon mehrfach überwunden worden und setzt mir deshalb nur schwachen Widerstand entgegen.

 

Was von der Ferne wie saftiger Rasen aussah, entpuppt sich als eine stachelige Mischung aus jungem Getreide, blühenden Disteln und einigen Grashalmen. Tatsächlich finde ich nur auf der zweiten Terrasse von unten einen Fleck, den ich meiner Neoair-Matratze zumuten möchte. Nach einer halben Stunde Disteljäten wird das Tarp offen zum Meer hin aufgebaut und alles eingerichtet. Obwohl ich so gut es geht trödele, ist es gerade erst 16 Uhr. Viel Zeit, um in dem felsigen Terrain herumzuklettern, die tote Baustelle an der Ruine zu begutachten, wo angeblich ein Refugio für Wanderer entstehen soll, Meer und Himmel zu bestaunen, die ständig den Farbton wechseln.

 

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Mannhaft ringe ich mich schließlich dazu durch, ganz ohne Netz unterm Tarp zu schlafen. Hier gibt es einfach (noch) keine Stechmücken und kein Krabbelzeug. Also wozu das Netz, auch wenn ich Michas neueste Kreation nur zu gern gleich ausprobiert hätte? Mit Einbruch der Dunkelheit döse ich weg, den Blick auf die Zacken des Drachens und die ersten funkelnden Sterne gerichtet. Als ich einmal nachts aufwache, zieht  direkt vor meinen Augen eine Sternschnuppe einen leuchtenden Strich quer über den Himmel in Richtung Meer.

 

Was ich mir gewünscht habe? Das verrate ich nicht.

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@Freierfall

Ich bin auch nicht ganz schwindelfrei, habe aber alles, auch die Gipfeltouren, ohne Höhenangst überstanden. Wenn Du Dich an die Steinmännchen hältst, ist alles machbar. Darfst halt nur nicht glauben, hier mal schnell über eine Felsstufe abkürzen zu können. Ich hab das einmal versucht. Nicht lustig. Dann klebst Du plötzlich wie der Rotz am Ärmel im Fels und merkst, dass es jetzt wirklich nicht mehr weitergeht. Dann lieber mühsam zurück klettern und das letzte Steinmännchen suchen, auch wenn es 15 Minuten oder mehr dauert. Aber dazu später mehr in meinem Tourenbericht...

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Die drei Türme - Tag 2: La Trapa - Mola de s'Esclop - Estellencs 

 

Der Morgen ist friedlich und feucht. In der tief eingeschnittenen Bucht hat sich kein Lüftchen geregt, und so rinnen am Morgen die Kondenstropfen die Bahnen im offenen Tarp hinab. Noch bevor die Sonne über den Berg kommt, bin ich unterwegs zum Coll de sa Gramola, hinter dem der Weg erstmals auf die Straße trifft.

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Der Weg von La Trapa hoch ist ohne Probleme zu finden und läuft als dünne Erdspur über ein schräg geneigtes Hochplateau, wo zwischen den Steinen mannshohe Schilfgrasbüschel wachsen. Nach einer halben Stunde tut sich erstmals der Blick nach Norden auf die gesamte Felsküste auf: so weit das Auge reicht stürzt Bergzug um Bergzug hintereinander gestaffelt ins Meer, voneinander nur durch tief eingeschnittene Buchten getrennt.

 

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 Als es langsam auf die Strasse zu geht, wird der Weg plötzlich voll. Jede Menge Tageswanderer und mehrere mallorquinische Schulklassen, die ihre Sprachkenntnisse an mir austesten wollen: "How far is it to Sant Elmo?" - "Three" - "What? Three minutes?" - "No. Three hours". Das ist alles ein bisschen nervig in dieser traumhaften Landschaft.

 

Richtig hässlich wird es dann aber, als der Weg die große Straße MA-10 erreicht und für mehrere Kilometer auf dieser verläuft. Große Pulks von 50, 60 oder mehr Rennradlern zischen an mir vorbei, dazwischen immer wieder die Mietwagen der Tagesausflügler. Wann hört das endlich auf?

 

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Erst bei Kilometer 104,4 biegt der Weg rechts zur Finca Ses Fontanelles ab - und sofort wird es wieder ruhig, ja einsam. An der Finca, die auch Übernachtungsmöglichkeiten anbietet, kann man noch mal den Wasservorrat ergänzen. Dann geht es hinein in ein enges, bewaldetes Tal, das auf den Mola de s' Esclop zuführt, mit 928 Metern mein heutiger Tagesgipfel.

 

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Der Aufstieg um 350 Höhenmeter links aus dem Tal heraus ist steil, steinig und fordernd. Oben geht es rechts weiter über die Planes d'en Cabrit, eine öde Hochebene mit scharfkantigem Gestein, über die der Wind pfeift. Dazwischen vereinzelt verkohlte Baumstümpfe vom letzten großen Feuer.

 

Hier sei der Weg schwer zu finden, haben meine Tourbeschreibungen gewarnt, doch das alles geht viel leichter als gedacht. Hangle Dich von Steinmännchen zu Steinmännchen. Am besten ist es, wenn Du immer die nächsten zwei oder besser gleich drei Markierungen im Blick hast. Denn eine Wegspur gibt es nicht.

 

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Auf 620 Metern mache ich Rast an einem halb verkohlten Baum. Nur aus den Augenwinkeln heraus entdecke ich plötzlich eine Bewegung in der Steinwüste unter mir, kann jedoch noch kein klares Objekt fixieren. Das sieht aus, als würden sich drei kleine, getarnte Belagerungstürme durch die Felsen langsam auf mich zu  schieben. Die drei Türme erweisen sich zehn Minuten später als gewaltige Rucksäcke, auf die kunstvoll immer noch ein Säckchen und Päckchen draufgeschnallt ist. Die Träger, die unter ihren Türmen kaum ins Auge fallen, sind drei junge Österreicher mit wahren Betonstiefeln an den Füssen, die ihnen auch die Mafia verpasst haben könnte.

 

Ich schwanke zwischen Faszination und Entsetzen: wer tut sich so etwas an? Menschenfleisch will gequält werden. Dieser merkwürdige Satz, den ich wohl irgendwo gelesen habe, geht mir nicht aus dem Kopf. Was wuchten diese drei Jungs hier bloß den Berg hoch? Bauen die jeden Abend die Safari-Lodge mit Show-Cooking auf?

 

Doch ich scheine nicht weniger bizarr auf die Drei zu wirken als sie auf mich. Beim ersten näheren Augenschein laufen die Gedanken des österreichischen Leittiers quasi als Leuchtschrift über dessen Stirn: "Wo haben sie denn den Opa mit seinem putzigen Herrenhandtäschen (Michas UL-Rucksack) auf dem Rücken und den Altersheim-Slippern (Trailrunner) raus gelassen?". Die drei Jung-Alpinisten halten mich unverkennbar in jeglicher Hinsicht für untermotorisiert.

 

Auch wenn das keine Liebe auf den ersten Blick wird, werden wir uns doch in den kommenden Stunden und Tagen immer wieder begegnen: Mal überhole ich, mal die Österreicher.  Die Drei waren die einzigen für mich erkennbaren "Thruhiker" auf dem GR-221 in diesen Tagen. Alle anderen rund 500 Wanderer, denen ich sonst noch begegnen werde, sind unverkennbar Tagesausflügler.

 

In scheinbar sicherer Distanz voneinander betreten wir das übermannnshohe Schilfdickicht um das Berggehöft Ses Alquerioles. Für die nächste halbe Stunde gibt es außer Halmen und Kuhscheiße nichts zu sehen. Ständig wartet man darauf, das der Vietcong aus diesem Meer aus Schilf hervor bricht. Mekong-Delta?

 

Dann ist da urplötzlich die erste Felsstufe. Schräg geht es über eine halb abgerutschte Wegspur und umgestürzte, verbrannte Bäume hinweg zum Pas d'en Ponca auf 700 Meter Höhe hinauf.  Und dann ist der Weg plötzlich zu Ende. Vor mir geht es steil über hunderte von Metern bis zum Meer hinunter. Wo ist bloß der verdammte Pass?

 

Mein GPS-Track zeigt mir, dass Pass und Weg nur etwa 80 Meter von mir entfernt sind, den steilen Berg hinauf. Aber wo hinauf? Der Steilhang ist mit Felsen, dornigen Büschen und totem Holz übersät. Ich gehe zurück, versuche mich zu orientieren, steige probeweise jetzt links hoch und komme über eine ganz kurze Kletterstrecke tatsächlich in eine Art Hohlweg, der aber schon nach 20 Metern in einem gut 5 Meter hohen Dickicht aus alten Zweigen endet. Schluss. Aus.

 

Ratlos gehe ich wieder zurück zu meinem letzten Steinmännchen und frage mich, wie es jetzt weitergehen soll. Da brechen die drei Belagerungstürme aus dem Schilf. Gemeinsam aber wortlos gehen wir noch einmal den Weg, der im Nichts endet. Auch das Leittier der drei findet schließlich den Hohlweg. Aber anders als ich macht er nicht am Ende vor dem haushohen Gestrüpp Halt, sondern klettert links davon die fünf Meter hohe Felsstufe hoch.

 

Ein fröhlicher Jodler von oben zeigt uns, dass das der Durchbruch ist. Schnell bin auch ich oben - und ja, hier ist der Weg, plötzlich wieder bestens mit Steinmännchen über eine karge Hochfläche hin auf den Gipfel zu markiert. Ich frage mich, warum nicht ich schon bei meinem ersten Solo-Anlauf auf die Idee gekommen bin, den Gebüschpropfen im Hohlweg zu umklettern. Offenbar braucht es manchmal den Gruppendruck, um richtig zu performen. Bin eben kein Leittier, nur ein Solo-Geher.

 

Der Rest bis zum Gipfel ist übersichtlich. Etwa 80 Höhenmeter kurz vor dem Gipfel kraxelt man eine halbwegs steile, aber sehr griffige Felswand hinauf. Die ist aber nie so stark geneigt, dass ich Sorge oder gar Angst hätte. Auf dem Gipfel steht eine kleine Steinsäule, um mich herum liegt mir die Welt sonnenbeschienen zu Füßen. Gipfelglück. Wo die drei Österreicher unter ihren Rucksacktürmen abgeblieben sind, bleibt mir ein Rätsel.

 

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Erst beim Abstieg über die andere, viel weniger steile Seite merke ich, wie geschafft ich bin. Inzwischen ist es 16 Uhr, ich bin seit sieben Stunden unterwegs, komplett durchgeschwitzt und mangels Rast leicht unterzuckert. Die scharfen Steinkanten scheinen jetzt durch die Sohlen in meine Füße zu schneiden. Wie lange geht das denn noch?

 

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Lange. Noch einmal lange drei Stunden bis hinunter nach Estellencs, die meiste Zeit glücklicher Weise auf einem relativ ebenen Fahrweg, der wie aus dem Nichts heraus plötzlich wieder aufs Übersichtlichste mit GR-221-Schildern bestückt ist. Estellencs ist ein kleines Städtchen mit einem Hotel und sonst nicht der Rede wert. Dass ich mir heute das Hotelzimmer mit heißer Dusche nicht nur verdient habe, sondern wirklich dringend brauche, merke ich erst, als an der Rezeption stehe. Mein Gott stinkt das hier! Hoppla, das bin ja ich.

Bearbeitet von Gast
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Die "Nazi-Finca" und ein dummer Fehler - Tag 3: Estellencs - Esporles - Gipfel Sa Comuna

 

Frisch geduscht und mit den im Handwaschbecken frisch gewaschenen Klamotten geht es am Morgen durch den Wald in Richtung Finca Es Rafal. Hier ist der GR-221 schon seit 2007 durch den Finca-Besitzer gesperrt. Seitdem folgte Gerichtsprozess auf Gerichtsprozess - und laut neuester Meldungen im Web (http://gr221.info/nachrichten.htm - ursprüngliche Falschmeldung inzwischen korrigiert) soll der Weg jetzt wieder offen sein. Das will ich sehen! Schon bald verheißen die mit Müllsäcken verhängten Wegweiser jedoch nichts Gutes.

 

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Ich laufe dennoch weiter und lande eine halbe Stunde später prompt vor einem schwarzen, fast drei Meter hohen Gittertor, das mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert ist. Links und rechts davon eine Steinmauer, auf der ein Maschendrahtzaun aufgespannt ist, der schließlich mit Stacheldraht gekrönt ist. In das Metalltor haben Wanderer unübersehbar ein großes Hakenkreuz eingeritzt.

 

Frustriert laufe ich den Weg zurück und biege links über den Cami de les Font de s'Obi auf das Gelände der staatlichen Finca Planicia ein, über die nach wie vor die - allerdings nicht als GR-221 ausgeschilderte - Umleitung nach Esporles verläuft. Zwar bin ich immer noch verärgert, aber dieses riesige Finca-Areal bietet so schöne Ausblicke über Olivenhaine aufs Meer, das ich mir denke: Eigentlich ist das doch ohnehin der schönere Weg. Warum weisen sie den nicht gleich als GR-221 aus?

 

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Der Abstieg nach Esporles durch den Wald ist lang und unspektakulär. Dafür überrascht mich Esporles. Ein schmuckes, lebhaftes Landstädtchen mit ein paar gut besuchten Bars auf dem Marktplatz. Zeit für ein bocadillo de jamon mit leckeren Oliven. Im Supermarkt werden meine Wasservorräte aufgefrischt, denn Bäche, Quellen oder Brunnen habe ich bisher nicht gesehen. Alles trocken oder schaumig-grün, obwohl es noch früh im Jahr ist.

 

Der Weg hinter Esporles nach Valldemossa greift dann leider wieder das Zaun-Thema dieses Morgens auf. Gut eine Stunde lang geht man durch Orangenhaine und blühende Gärten, aber: Links eine Mauer mit Zaun und Stacheldraht oben drauf. Rechts eine Mauer mit Zaun und Stacheldraht drauf. Fühlt sich an wie Guantanamo, wo man ja auch ständig durch Drahtkäfige geht. Was ist nur los mit den Menschen hier? Was sie von Wanderern halten, zeigen die Finca-Besitzer unmissverständlich durch Bildkacheln an den Toren an.

 

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Umso verblüffter bin ich, als ich plötzlich einen kleinen Begleiter rechts neben mir habe. Wo kommt der denn her? Der Spitz folgt mir beharrlich, scheint aber unter Inkontinenz zu leiden. Oder macht der nur gerade die große Runde, um seine Reviergrenzen zu markieren? Als der Drahttunnel an der Waldgrenze endet, ist jedoch plötzlich auch der Spitz verschwunden.

 

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Ich will heute unterhalb des kleinen Gipfels Sa Comuna auf 750 Meter Höhe mein Tarp aufbauen. Zu spät merke ich, dass mir die Gegend nicht besonders gefällt. Steineichenwald, der irgendwie immer etwas düster und fies wirkt, als würde gleich eine Horde Orks hinter den Stämmen hervorbrechen. Noch dazu viele Mauern und Zäune, die überstiegen werden müssen. Aber es geht schon auf den Abend zu - keine Wahl.

 

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Der Wetterbericht hat für heute Nacht Starkregen angesagt, doch ich will es wissen: Was hält mein neues Tarp aus Silpoly aus, das Micha mir genäht hat? Auf einem halbwegs ebenen Platz unterhalb des Gipfels baue ich mein Lager auf, wieder als offene Halbpyramide, die geschlossene Seite zum Meer hin ins Wetter gerichtet. Kaum bin ich fertig, beginnt es auch schon zu regnen.

 

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Die erste Stunde geht alles gut. Der Regen prasselt brav von Westen ein, das klingt, als würden tonnenweise Kichererbsen über das Tarp gekippt werden. Mir ist's egal, denn ich liege sicher und trocken unter Tarp und Quilt. Gerade döse ich in der einsetzenden Dunkelheit weg, als es dreimal kurz hintereinander taghell wird. Das leuchtet sogar hinter den geschlossenen Augenlidern. Merkwürdigerweise kein krachender Donner, sondern nur ein leichtes, fernes Grummeln.

 

Und dann geht die Welt unter. Von einer Sekunde auf die andere dreht der Wind, das Gewitter kommt jetzt über den Gipfel und den Hang herunter, bläst den Regen waagrecht genau in die Öffnung meiner Halbpyramide hinein. Zuerst will ich das noch mit dem aufgespannten Wanderschirm abwettern. Aber genauso gut könnte ich auch das Papierschirmchen eines Eisbechers in den Sturm halten. In Sekundenschnelle ist mein Quilt nass, der Regen läuft über mein Gesicht, obwohl ich in der hintersten Ecke des Tarps kauere. Ohne groß zu überlegen weiß ich plötzlich:

Du musst jetzt raus.

Du musst das Tarp zur geschlossenen Dackelgarage umbauen.

Du wirst dabei furchtbar nass werden.

JETZT!

 

Nach zehn Sekunden läuft mir bereits der kalte Regen in Bächen unter dem Hoody über den Rücken in die Hose. Aber nach zwei Minuten habe ich aus dem Tarp etwas gebaut, dass entfernt einer Dackelgarage ähnelt. Ohne einen einzigen Hering, denn mir bleibt keine Zeit, auf diesem steinigen Boden nach dem sweet spot für meine Titannägel zu suchen. Große Steine für die Abspannschnüre und ein überhängender Ast müssen genügen. Hektisch packe ich den inzwischen durchgeweichten Quilt, die Matte und das Groundsheet in die kleine Tarp-Öffnung, die ich dann mit dem aufgespannten Schirm verschließe.

 

Klatschnass liege ich auf meiner nassen Neoair-Matte unter dem nassen Daunenquilt. Das Polycro-Groundsheet sieht aus wie ein großformatiges Gemälde aus der wahnhaften Schaffensphase eines Aktionskünstlers: Matsch, verfaulte Blätter, schillernde Pfützen. Und dennoch weiß ich, dass ich jetzt sicher bin, dass mir das Unwetter, das draußen tobt, nichts mehr anhaben kann. So schlafe ich erschöpft bis zum nächsten Morgen durch. Noch immer prasselt der Regen aufs Tarp, aber ich habe die Matte und zumindest die Innenseite des Dauenquilts über Nacht durch meine Körperwärme getrocknet. Lektion gelernt: Wenn das Wetter fies wird, musst Du das Tarp von Anfang an so bodennah wie möglich als A-Frame oder Dackelgarage aufbauen.

 

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vor 44 Minuten schrieb Lahmeente:

@doast

Wenn Du mich gefragt hast, ob ich einen Laufbursche-Rucksack trage, dann waren das tatsächlich wir beide. Das ist ja witzig!

Genau der war ich :)

 

Den Regen an deinem 3. Tag durfte ich in meiner ersten Nacht in La Trapa ausharren. Hat ganz schön gekübelt. Dachte schon mir gehts schlecht mit dem vielen Splash auf meinen Quilt, scheinbar ergings aber anderen noch schlimmer :/

Bearbeitet von doast
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Oh je. Da hatte ich es wenigstens diese eine Kloster-Nacht gut warm. Das Gewitter hätte ich auch lieber in La Trapa als auf diesem blöden Sa Comuna gehabt. La Trapa ist doch windgeschützt und liegt längst nicht so hoch. Ich war quasi mitten drin in diesem Mist-Gewitter. Am Morgen dicker Wolkennebel.

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Weiß der Geier - Tag 4: Sa Comuna - Valdemossa - Puig de Caragoli - Deia

 

Es tut mir in der Seele weh, den nassen Quilt am Morgen in den Rucksack stopfen zu müssen. Aber es hilft ja nichts: Um 10 Uhr hängt immer noch dichter Nebel im Steineichenwald, überall tropft es. Auf die Sonne brauche ich hier nicht zu warten.

 

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Während ich missmutig nach Osten den Gipfel Richtung Valldemossa hinabstolpere, setze ich Steineichenwälder auf Platz 1 meiner Hassliste. im Wolkennebel wirken diese Wälder besonders eintönig und trostlos. Erst nach einer Stunde die erste Abwechslung: Ein Blick durch eine Wolkenlücke auf Valldemossa.

 

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Dort regnet es zwar, aber ich finde in der kleinen Fussgängerzone den letzten freien Tisch unter einer Cafe-Markise, um mich herum nur älteres heimisches Publikum. Was tun die hier alle an einem Donnerstag um 11:30 Uhr? Müssen die nicht arbeiten? Sind diese Herren mit den Goldringen an den Fingern die Finca-Besitzer, die derzeit auf Platz 2 meiner Hass-Liste stehen?

 

Egal. Das Schinkensandwich schmeckt wie immer vorzüglich. Dann schnell aus diesem rummeligen Nobel-Ort heraus, wo die Rennradfahrer in ihren Fancy-Klamotten mit ihren Hightech-Maschinen in dicken Trauben die Hauptstraße säumen. Aber heute ist nicht mein Tag. Kurz hinter dem Ortseingang von Valldemossa ist der Weg abgesperrt. Der einzige Durchlass führt an einem Tickethäuschen vorbei. Authorized access only.

 

Der deutschsprachige Naturbursche in dem Hüttchen erklärt mir umständlich, dass das ganze Tal vor mir zum Schutz von Flora und Fauna gesperrt sei und dass die letzten hier lebenden Exemplare des Berggeiers eine Flügelspannweite von bis zu drei Metern erreichen. Sauber.

 

Jedenfalls dürfen hier nur 20 oder 30 Menschen pro Tag rein. Ich gehöre nicht dazu, denn dafür hätte ich schon Wochen vorher eine Permission beantragen müssen. Und jetzt? Freundlich zeigt er mir eine Umgehungsroute auf dem Cami Ses Basses über die Hochebene Pla de Caritges und den Gipfel Puig Caragoli (945 m). Dahinter würde ich dann wieder auf den ursprünglichen Weg nach Deia treffen. Ach Du Schreck: Gipfel. Das hat mir heute noch zu meinem Glück gefehlt.

 

Der Weg erweist sich jedoch als nur mäßig anstrengend und leicht zu finden, selbst in dieser Nebelsuppe, die auch hier zwischen den Berghängen schwappt. Erst auf 800 Metern Höhe stoße ich plötzlich durch die Wolkendecke in die pralle Sonne. Auf dem Caragoli liegt mir ein Wolkenatlas zu Füßen.

 

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Schnell befreie ich den nassen Quilt aus dem Rucksack und halte ihn wie eine gewaltige Fahne in den scharfen Wind. Und oh Wunder: Nach nicht einmal zehn Minuten ist er trocken und pluderig wie eh und je. Ein Hoch auf die hydrophobe Daune!

 

Und auch meine schlechte Laune ist in der stechenden Sonne im Nu verdampft. Für heute brauche ich mich nicht mehr mit Hasslisten zu beschäftigen. Fröhlich marschiere ich auf die karge Hochebene hinaus und verpasse prompt den Abzweig hinunter nach Deia.

 

Kein Steinmännchen in Sicht, und inzwischen weiß ich nur zu gut, was das heißt. Irgendwo hinter mir hat der Weg eine scharfe Kehre über die Abbruchkante gemacht und verläuft jetzt laut GPS-Track nur 50 Meter neben und rund 80 Meter unter mir. Den Versuch, über die Felskante einfach in direkter Linie zum Weg hinunter zu klettern, breche ich nach wenigen Sekunden ab. Oha, das ist senkrecht.

 

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Also zurück bis zu den letzten Steinmännchen - und von der Gegenrichtung kommend sieht man auch sofort die Spitzkehre, die bereits am Anfang des Hochplateaus über die Abbruchkante hinab führt. Wie immer ist der Weg absolut machbar, auch wenn man das auf den ersten Blick weder von oben noch später beim Rückblick von unten glaubt.

 

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Durch schattige Wälder geht es hinab nach Deia, das in einem scharfen Taleinschnitt umgeben von steilen Bergwänden liegt. Unterkunft finde ich heute im Hostal Miramar, ein altes Steinhaus mit traumhafter Terrasse und Blick über den Ort zum Meer. Auch wenn die Kammer, die die alte Dame da vermietet, sehr basic ist. Dieses Haus hat Charme wie kein anderes, in dem ich hier auf der Insel unterkomme. Dazu ein duftender Garten mit Rosen und Mandarinenbäumen in voller Blüte.

 

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Piraten! Piraten! - Tag 5: Deia - Port de Soller

 

Eigentlich will ich heute einfach nur gemütlich vor mich hinlaufen. Keine Gipfel. Keine komplizierte Wegfindung. Kein Schweiß. Wenn man auf einer solchen Terrassen-Idylle frühstücken darf, kommen einem natürlich auch nur solche Wohlfühl-Gedanken.

 

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Aber das Leben ist kein Ponyhof. Schon auf den ersten 800 Metern des klassischen GR-221, der bequem auf Wegen und Straßen im Landesinneren verläuft, begegnen mir Scharen von Tageswanderern und drei Schulklassen. Ja ist denn heute Wandertag?

 

Also doch schnell abbiegen zum Meer auf den "Piratenweg", der sich an der Steilküste entlang schlängelt. Schon die ersten Ausblicke machen mich sprachlos. Küstenlandschaften wie auf japanischen Holzschnitten. Wie wäre das erst mit Sonne?

 

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Wenn man so allein dahin wandert, kommt man ja auf merkwürdige Ideen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, welche Freude und Lust es gewesen sein muss, Deia zu plündern. Ein toller Anmarschweg, keine Verteidigungslinien, ein fruchtbares Tal mit üppigen Terrassenfeldern, reich gefüllten Vorratskellern und fetten Prälaten. Besonders wehrhaft hat die ansässige Bevölkerung auch nicht gewirkt.

 

Bist Du denn verrückt? Bauern niedermetzeln? Pfarrer foltern? Jungfrauen schänden? Dir wird doch schon schlecht, wenn Du Dir in den Finger stichst und einen Tropfen Blut siehst. Ein toller Pirat!

 

Kleinlaut rudere ich zurück. Gebe vor mir selbst sofort die unmissverständliche Versicherung ab, dass ich Morden, Brandschatzen und Plündern für roh, abscheulich, brutal und selbstverständlich politisch völlig inkorrekt halte. Zumindest in dieser Existenz. In diesem Leben. Man wird ja wohl noch ein bisschen herum spinnen dürfen. Oder?

 

Der Weg ist ebenso leicht wie traumhaft schön. Unterwegs gruselige Olivenbäume mit Charakter und eine Tür der Herzen.

 

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Kleine Wermutstropfen sind die kurzen Straßenstücke auf der MA-10 vor Port de Soller. Hier rücken die Rennradler auf Platz 1 meiner Hassliste, die plötzlich für Momente wieder da ist.

 

Aber dann versöhnt mich Port de Soller, ein schicker Strandort um eine weite Bucht herum. Bar-Tische an der Promenade mit Blick aufs Meer, ein echter kleiner Fischereihafen und ein etwas in die Jahre gekommenes Hotel, in dem ich für 44 Euro ein Zimmer mit Balkon aufs Meer bekomme.

 

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Eigentlich wäre heute ja Draußenschlafen dran. Aber wer kann bei diesem Ausblick nein sagen? Abends sitze ich mit den nackten Füssen im Sand in einem Strandrestaurant und tue mir einen ganzen gegrillten Fisch rein.  Welch ein Genuss nach der Wanderdiät aus Salznüsschen und Schinkensandwiches. Gute Nacht.

 

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@Freierfall

Gern geschehen. Wenn man da acht Tage allein durch diese wunderbare Landschaft marschiert, muss man diese Überfülle von Eindrücken irgendwann auch teilen und loswerden.

Der Piratenweg ist übrigens wirklich ein unbedingtes Muss. Traumhaft!

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Gemeine Steine und eine Schutzeiche - Tag 6: Port de Soller - Biniaraix - Cuber Stausee - Tossal Verds

 

Bereits um 7:30 Uhr räume ich nach einem kurzen Frühstück das Zimmer, gemeinsam mit einer mittelgroßen Kakerlake, die rasch mit mir aus der Tür wuselt. Ich habe gar nicht gewusst, dass ich ein Doppelzimmer genomme hatte...

 

Der Tag ist am frühen Morgen im ursprünglichsten Sinn des Wortes jungfräulich. Das Meer wie ein Spiegel, keine Menschen auf dem Boulevard - und die alte Straßenbahn leuchtet rot in den ersten Sonnenstrahlen.

 

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Mit der alten Tram rumpele ich von Port de Soller nach Soller hinauf. Nicht weil ich Kilometer auf dieser langen Etappe mit über 1.000 Höhenmetern Anstieg sparen will, sondern weil diese Bahn ein historisches Unikum ist. Offene Waggons ohne Glas und Wände, in Griffweite sausen die Zitronen an den Bäumen vorbei.

 

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Zu meiner Überraschung hat Soller noch mehr Zauber als seine Hafen-Dependance. Verwinkelte Gassen und verschwiegene Treppenaufgänge, in die seitlich das erste Sonnenlicht fällt. Das ganze Umland noch von einem Dunstschleier bedeckt, der im Sonnenlicht weiß leuchtet. Mich ergreift ein intensives Gefühl von Reinheit, Da-Sein, ja Euphorie. 

 

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Der alte Pilgerweg über Biniaraix zum Coll de l'Ofre auf fast 900 Metern Höhe ist Mittelalter pur. Wie viele hunderttausend Pilgerfüße haben die Steinstufen glatt geschliffen? Da die Schlucht immer enger wird und im dunklen Schatten liegt, bleibt mir jeder Schweißtropfen erspart. Doch auf den letzten 100 Höhenmetern vor dem Pass giere ich förmlich nach Sonnenlicht, das am Coll de l'Ofre wie mit einem Knall grell und leuchtend über mich herfällt, zusammen mit dem Ausblick in das Hochtal mit dem türkisfarbenen Cuber-Stausee.

 

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Am Wegesrand zum See ein Lämmchen, das gerade erst geboren sein kann, so wie es unsicher und wackelig auf seinen Beinen davon stakst. Werde ich je wieder Lamm essen?

 

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Aber der Weg bleibt sich selbst treu. Nach der Idylle ein total überfüllter Parkplatz am Cuber-Stausee, Familien beim Picknick, Tageswanderer, die üblichen Pulks von Rennradlern auf der MA-10, schnell weg hinauf zum Coll de Sa Coma des Ases, wo der Weg über den Pass Llis durch eine tiefe Schlucht hinüber zum Refugio Tossal Verds führt.

 

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Alles gut zu finden heute, aber trotzdem gemein. Über Stunden hinweg kein einziges Fleckchen ebene Erde. Nur spitze, scharfkantige Steine. Zum ersten Mal auf dieser Tour fange ich an laut zu schimpfen. Über diesen Weg, der meinen Füßen gezielt weh tut; der einfach nicht enden will, obwohl schon das Licht des späten Nachmittags schräg einfällt; der mich davon abhält, diese bizarre Schlucht zu bewundern, denn jeder Schritt erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Die eine Kletterstelle mit der gespannten Kette zum Festhalten ist im Vergleich dazu eine Erleichterung.

 

Ausgedörrt von der Sonne komme ich am Abend am Refugio Tossal Verds an. Ich weiß bereits, dass hier alles seit Wochen ausgebucht ist. Dann erfahre ich auch, warum. Gut 15 Kleinkinder wuseln auf dem Gelände herum, fein säuberlich voneinander getrennt sitzen die jungen Mütter und Väter an den Picknicktischen. Es ist Samstagabend und das Tossal Verds ist offenbar die Wochenend-Location für die jungen Hipster aus Palma, die ihre kleinen SUVs irgendwo unterhalb geparkt haben. Sehr familienfreundlich. Was ja sehr begrüßenswert ist. Aber mit einer Wanderherberge hat das nichts mehr zu tun.

 

Der ausnehmend unfreundliche Hüttenwirt rückt wenigstens eine Dose Cola und zwei Kitkat heraus. Hurra, das Abendessen ist gerettet. Erleichtert laufe ich weiter hoch in Richtung Font de Prat und finde nach langem Suchen eine ebene Stelle für die Nacht neben den alten, verlassenen Häusern bei Cases Velles des Tossals; wieder auf einer Terrasse mit Blick ins Tal.

 

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Unter einer gewaltigen Eiche baue ich mein von Micha genähtes Tarp auf, diesmal als luftigen A-Frame. Das steht wie eine Eins - und Michas Netz passt einfach wie angegossen darunter. Nicht, dass ich das Netz als Insektenschutz bräuchte. Aber der Wind pfeift kühl das Tal herauf und mir ist nach etwas Schutz, auch für den Seelenfrieden. Später in der Nacht wache ich von scharrenden Hufen auf. Nur einen halben Meter neben dem Tarp sehe ich die Fell-Beine eines Maultiers im Mondlicht, aus meiner bodennahen Perspektive himmelhoch. Aber das ist ein guter, mir wohl gesonnener Ort. Das Maultier macht vor meinem Tarp kehrt und verschwindet mit leisem Hufgeklapper in der Nacht.

 

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vor 2 Stunden schrieb Freierfall:

Wiesel? :shock:

Bin vom 15-23 unterwegs, werden uns wohl also nicht begegnen denke ich ;) Ansonsten mit ich der große Wanderer mit dem blauen Schaumgummi-Visor und dem ULA Ohm Rucksack ;) falls noch jemand um die Zeit da ist.

 

vor 2 Stunden schrieb Freierfall:

Wiesel? :shock:

Bin vom 15-23 unterwegs, werden uns wohl also nicht begegnen denke ich ;) Ansonsten mit ich der große Wanderer mit dem blauen Schaumgummi-Visor und dem ULA Ohm Rucksack ;) falls noch jemand um die Zeit da ist.

@Freierfall und @Pong wollte am 11.05-16.05 die Tour machen und mich am Montag um die Permits für Valldemossa kümmern.

ich wohne auf der Insel und könnte sie in Puerto Andratx hinterlegen. Wenn ihr welche braucht meldet euch bei mir, bin mit ULA Circuit unterwegs und auch kein Wiesel ;-)

@Lahmeente ganz toller Bericht! Grossartig und vielen Dank dass du mir als Local echt geholfen hast wusste die Sache mit Es Rafael aber nicht mit der Geierzucht. Wollte eigentlich nur meiner Freundin aus Berlin einen Link zum Thema "Ultralight" schicken und finde das hier! Klasse und danke

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