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Ultraleicht Trekking

Safiental (CH)


Mars

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Mein Konto dreht wieder mal ins Plus: Eine 100 % Anstellung bei einer offiziellen Behördenstelle / Amt spült Geld in schon lange nicht mehr gesehenen Höhen darauf. Also los zum Outdoor-Händler meines Nicht-Vertrauens, jene, die mit der Fachberatung werben, die mir aber getrost gestohlen bleiben kann. Die meisten “Berater” sehen nicht mal aus, als wüssten sie besonders lange zu laufen. Dafür kostet eine Uberlite R ungefähr 50 Stutz mehr als überall sonst. Sei's drum, es ist Freitag, später am Tag möchte ich mich gerne darauf legen. Als fanatischer SUL-Anhänger bevorzuge ich zwar CCF, aber eben so von wegen Winter und so. 

Mein Job ist echt anstrengend, die Woche hat mich ausgelaugt. Echtes physisches Aktenhandling. Leider zählen zu unseren Zwangsklienten auch richtig bekloppte Automobilisten. Jede Parkbusse lösst ungefähr 5 Seiten Akten aus. Manche werden am Tag mehrmals gebüsst, ehe man sich versieht, bewegt man hunderte von Seiten pro Fall.   

Mein Ziel ist das Safiental. Offenbar gibt es dort die meisten Wolfssichtungen, momentan und in der Schweiz. Eine Juristin im Büro hat uns vor diesen Viechern gewarnt, sie macht mit Waffen (entscheidet also, wer alle seine Waffen abgeben darf und ordnet auch Hausdurchsuchungen an) und sprach darum mit einem Jäger. 

Nichts wie hin. Für das ganze Wochenende sind Gewitter vorausgesagt. Vor Chur regnet es bereits, dann in Chur nicht mehr. Als ich in Versam aus dem Zug steige, geht es jedoch wieder los. Das Gewitter ist über uns, zwischen Blitz und Donner vergehen keine fünf Sekunden. Die Campervan-Fraktion sitzt in ihren Wagen, einige haben die Heckklappe geöffnet und finden es wohl sehr romantisch. Mit der Abgebrühtheit eines Möchtegern-Langdistanzhikers schreite ich über den Parkplatz, der sich bereits unter Wasser befindet. Dann hinauf, Richtung Versam Dorf. Nachdem hier im Forum mit der Polizei gedroht wurde, von wegen Übernachtungen tief im Wald, könnt ihr nun gerne annehmen, ich hätte meine Uberlite im örtlichen Landgasthof getestet. 

Nichts knistert mehr, wenn man jedoch das Gewicht verlagert, hört man dies, ähnlich einem Luftballon. Das neue Ventil hält die Luft nur noch mit den “Wings”, der Schraubverschluss hat nur noch eine halbe Drehung. Undicht by design. Es wird wohl bald eine Überarbeitung dieses Ventils geben. Der Luftverlust ist spürbar, aber nicht dramatisch. Der Luftdurchsatz des Ventils ist hingegen sensationell. Man kriegt die Matte schnell aufgeblasen und auch schnell wieder leer. 

Der Pumpsack ist ein Witz. Irgendwo habe ich mal einen TaR Typen gehört, der empfahl, diesen Pumpsack als Stuffsack zu verwenden. Wozu? Er ist mit Nichten und Neffen wasserdicht. Die Stoffkanten werden immerhin durch ein Band vor dem Ausfransen gesichert, aber die Nähte sind nicht mal getaped. Die Verbindung zum Ventil der eigentlichen Matte ist zu schwach. Man kann dies aufstecken, wenn man den Pumpsack aber unter Druck setzt, löst sich die Verbindung. Für Hobbyisten vielleicht, für Möchtegern-Elite-Ultralangdistanz-Menschen ein grosses Ärgernis. TaR verkauft hier schlicht und einfach Abfall, der Pumpsack kommt nun mit jeder Matte. Humor haben sie ausserdem. Auf dem Pumpsack steht, man solle in den Pumpsack hinein blasen. OK, aber warum kann ich dann nicht direkt in die Matte hineinblasen? Entzieht dieser Pumpsack auf magische Weise der Luft die Feuchtigkeit?  

Es regnet nur einmal, bis ca. am Morgen um vier. Hätte ich mein Zelt aufgestellt, so hätten die dicken Tropfen von den Bäumen ein hübsches Plop auf dem DCF ausgelöst. Am Morgen hätte ich mein Zelt von ca. 10 Schnecken befreien müssen. Ich wäre nicht gestört worden, obwohl ich nur ca. 15 Meter vom Weg entfernt gelegen wäre. Dies wäre schon die zweite Nacht im Dauerregen gewesen, mein Zelt hält immer noch dicht, obwohl es von der Kritik vernichtet wurde. Je häufiger ich es benutze, desto mehr überzeugt es mich. Ja, das DCF ist dünn, na und? Wenn das Zelt einen Bärenangriff überstehen soll, ist es wahrscheinlich nicht mehr besonders leicht. Plus: Es ist eine Villa. Ein Duplex bietet wohl noch ein wenig mehr Fläche, sieht aber nicht halb so schön aus. Das Auge isst mit, meine geschweissten DCF Verbindungen sind einfach cool. 

Am Morgen packe ich alles zusammen und freue mich auf einen langen Wandertag. Keine 50 Meter nach meinem äh Landgasthof ist auch schon der Waldrand. Ein neuer VW Bus steht da, er sieht aus wie ein Campervan. Aha, da sind sie nun, die Pärkler, über die sich alle aufregen? Ein Blick auf das Nummernschild verrät etwas anderes, GR steht für Graubünden, also ein einheimisches Fahrzeug, im Innern eine Hundebox. Dies könnte sogar ein Mitglied der Forstpolizei sein. 

Ich laufe durch Versam, ein Junge der auch noch nicht 18 Jahre alt sein könnte, braust mit seinem Motorrad herum, ohne Helm. Keine zwei Minuten später sehe ich den nächsten ohne Helm, dafür mit einem Laubbläser quer über den Lenker. Wir sind irgendwie abseits der Zivilisation? Versam hat eine Kanuschule, unten, am Rhein. Hier oben werden alte Kanus als Blumenkisten verwendet.

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Calandamassiv (Bildmitte). Dort lebt ebenfalls ein Wolfsrudel. 

Ich steige und steige. Nach der Alp Brün mache ich eine Pause. In vier Stunden habe ich gerade mal 11.5 km geschafft. Ja, es war steil aber ich war auch schon schneller. Natürlich sind die Wölfe zusammen mit den Hirschen noch weiter oben. Ich quere jedoch einen Hügelzug und tauche dann ab ins Safiental. Zunächst nochmals hinauf zum Tenner Chrütz. Immerhin bin ich nun auf 2000 m, mein Landgasthof war auf nichtmal 1000. Es geht nun wieder runter auf 1153, zu einem kleinen Stausee nach Egschi. Der Stausee ist leer. Entweder wurden bereits alle vom Wolf geholt, oder die Leute sitzen alle zu Hause. Zwei drei Biker, eine andere Wanderin. 

Der Weg nach Safien Platz ist langweilig, es regnet. Es ist bereits 17:30 als ich endlich in Safien Platz ankomme, die Sonne scheint wieder. Eine Beiz hat noch offen. Natürlich kann man nicht mit Postcard bezahlen, auch ein Merkmal mangelnder Zivilisation. Trinke ich halt einen Liter Bier. Danach habe ich einen sitzen, ich trinke höchstens einmal in zwei Monaten Alkohol. Macht nichts, nun kann ich wieder steigen. Das Ziel heisst nun Glaspass, 500 Meter weiter oben. 

Ein Nebenefekt meines plötzlichen Reichtums war, dass ich mein Mobilfunkabo wieder bezahlen kann. Dadurch wurden auch meine “Mehrwertdienste” wieder eingeschaltet und ich konnte folge dessen Apple Music wieder abonnieren. Natürlich erinnerte sich Apple auf wundersame weise an meine Playlists. TOOL, Sepultura, Slayer, Rammstein - alles wieder da. Und natürlich die lustigen Liedchen der Irish Brigade und von Chumbawamba. Ich höre also TOOL als kleine Motivationshilfe. Als ich oben bin, wird es Zeit den nächsten Landgasthof aufzusuchen. 32 km in 11 Stunden! Es gab 2300 m Höhe, aber trotzdem eher blamabel. Ich sehe auch einen Spotter, er ist mit allerlei Ferngläsern und riesigen Fernrohren ausgerüstet. Wahrscheinlich liegt die fette Holland & Holland auf dem Rücksitz seines Wagens, zum Selbstschutz oder so. 

Ein Landgasthof wäre jetzt sehr schnell gefunden: Einfach auf der Karte eine Waldstrasse suchen, die in einer Sackgasse endet. Fertig. Um nicht aus der Übung zu fallen, gehe ich sogar dorthin. Es wäre wirklich perfekt. Von Tannen abgeschirmt, von aussen nicht einsehbar, keine fünf Minuten vom Wanderweg entfernt. (Fast) ultraorthodox LNT, auf einer Strasse gefährdet man kaum seltene Pflanzen oder was auch immer. Für Hirsche, auf dem Weg in den abendlichen Ausgang, gäbe es genug Platz, mich zu umgehen. Die Chance, dass ein verirrter Biker oder gar das Jagdkommando der Forstpolizei an einem Samstag Abend nach neun hier nach dem Rechten sehen kommt, ist unter null.

Für die Nacht ist wieder Regen angesagt. Täte ich jetzt frevelhaft mein Zelt auspacken, so könnte ich durch das Mesh am Innenzelt dutzende von Mücken beobachten, während ich bequem auf meiner Uberlite eindämmern würde, beim Rauschen eines kleinen Bächleins. Ein fettes Grinsen würde mein Gesicht entstellen, beim Gedanken an all die Genossen von der Tarpfront, mit ihren Schirmen und dem Mückennetz darüber. Zufrieden würde ich mich noch einmal strecken, ich hätte alles was ich brauche in Griffnähe. Wenn mich ein Hüngerlein plagte, würde ich einfach aufsitzen und essen. Neben meinem Foodbag liegt eine Flasche mit feinstem Powerbar-Wasser. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es mich an den Wanst friert, liegen Kleider bereit. Ich könnte dies alles tun, ohne auch nur einmal mit einer Mücke in Berührung zu kommen. In der Nacht würde mich nur das Bellen eines Fuchses und morgens um vier das Kläffen eines Hundes von irgendeiner Alp stören.  

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Hier hätte ich übernachtet, hätten mich die Kommentare hier nicht davon abgehalten! Nach LNT sollte man nie auf lebenden Pflanzen sein Lager aufschlagen. Nach besonders seltenen Orchideen sah dies aber auch nicht gerade aus. Wie gesagt, dies ist das Ende einer Waldstrasse. 

Als rechtschaffender Bürger verbringe ich aber die Nacht natürlich im Sitzen, oben beim Parkplatz, es gibt einen kleinen Unterstand, mit einer PET-Sammelstelle. Natürlich vergesse ich mein Telefon unten, am nächsten Morgen gehe ich es holen! Ein Campervan hat sich auf den Parkplatz verirrt, den sehe ich aber erst am nächsten Morgen, ich hatte ja den Unterstand nicht verlassen, was denkt ihr denn? 

Leider ist es schon Sonntag, ich gehe trotzdem noch schnell rauf auf den Glaser Grat. Um 7:15 bin ich oben, fett #BLM ins Gästebuch geschrieben, wer sich daran stört wird hoffentlich vom Wolf geholt oder wenigstens in den A***** gebissen.  

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Aussicht vom Glaser Grat. Gestern war ich ganz unten im Tal.

Es gibt einen Erlebnisweg, wieso der Lüschersee nicht mehr ist, finde ich erst durch Googeln heraus. Ich steige noch ein wenig ab, durch sehr hässliche Dörfer, irgendwann so um zehn Uhr habe ich keine Lust mehr. Ab ins Postauto und Tschüss. 

Obwohl ich den ganzen Samstag in Sealskinz Socken unterwegs war, ziert keine einzige Blase meine Pfoten. Topo for the win. Natürlich habe ich die Hardcore Version namens Runventure 3, Zero Drop, mehr Härte als der Ultraventure. Dafür 10 Stutz günstiger. Ich befürchtete schon, einen Mist gekauft zu haben, nach meinen Flachland-Touren taten mir die Pfoten weh - wahrscheinlich psychosomatisch.

Für bergiges Terrain und einigermassen vernünftige Wanderwege sind die Schuhe perfekt. Eben Altras für Möchtegern-Langstreckler. Herr Post hat da was Feines geschaffen. 

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